Psychoanalyse und Ethik Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie by Erich Fromm Rainer Funk
Autor:Erich Fromm Rainer Funk [Funk, Erich Fromm Rainer]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: isbn:978-3-95912-029-6
Herausgeber: Open Publishing Rights
veröffentlicht: 2015-11-27T16:00:00+00:00
1. Das autoritäre Gewissen
Das autoritäre Gewissen ist die Stimme einer nach innen verlegten äußeren Autorität, also der Eltern, des Staates oder was immer in einer bestimmten Kultur als Autorität gelten mag. Solange das Verhältnis des Menschen zur Autorität äußerlich bleibt und keine moralischen Sanktionen daraus abgeleitet werden, kann man kaum von einem Gewissen sprechen. Ein solches Verhalten wird nur von Nützlichkeitserwägungen, von der Furcht vor Strafe oder der Hoffnung auf Belohnung bestimmt und ist immer von der unmittelbaren Gegenwart dieser Autoritäten abhängig: davon, dass diese Autoritäten wissen, was man tut, und dass sie die vermeintliche oder wirkliche Macht haben zu strafen oder zu belohnen. Was die Menschen als ein dem Gewissen entstammendes Schuldgefühl empfinden, ist oft nur Furcht vor der Autorität. Sie fühlen im Grunde nicht Schuld, sondern Angst. Bei der Bildung des Gewissens werden jedoch Autoritäten wie Eltern, Kirche, Staat, öffentliche Meinung bewusst oder unbewusst als ethische und moralische Gesetzgeber angesehen, deren Gesetze und Sanktionen man annimmt und sie damit internalisiert. So werden die Gesetze und Sanktionen der äußeren Autorität zu einem Teil des Menschen selber. Man fühlt sich nicht mehr verantwortlich gegenüber etwas, das außerhalb liegt, sondern gegenüber etwas, das in einem selbst ist: gegenüber seinem Gewissen. Das Gewissen ist ein wirksamerer Regulator des Verhaltens als alle Furcht vor äußeren Autoritäten. Denn vor der äußeren Autorität kann man davonlaufen, vor sich selbst jedoch nicht und daher auch nicht vor einer nach innen verlegten Autorität, die zu einem Teil des Selbst geworden ist. Das autoritäre Gewissen entspricht dem, was Freud als Über-Ich beschrieben hat. Wie ich noch zeigen werde, ist dies aber nur eine Form des Gewissens, möglicherweise sogar nur eine Vorstufe in der Entwicklung des Gewissens.
Während das autoritäre Gewissen sich von der bloßen Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung unterscheidet, da das Verhältnis zur Autorität nach innen verlegt wurde, ist der Unterschied in anderen wesentlichen Punkten nicht sehr groß. Die wichtigste Gemeinsamkeit besteht darin, dass auch die Vorschriften des autoritären Gewissens nicht durch eigene Werturteile bestimmt werden, sondern ausschließlich dadurch, dass seine Forderungen und Tabus durch die Autorität selbst ausgesprochen werden. Sind diese Vorschriften zufällig gut, so wird das Gewissen das Tun des Menschen zum Guten lenken. Diese Vorschriften wurden aber nicht deswegen Gewissensvorschriften, weil sie gut sind, sondern weil es Vorschriften sind, die von der Autorität gesetzt wurden. Sie würden auch dann vom Gewissen aufgenommen, wenn sie schlecht wären. Jemand, der beispielsweise an Hitler glaubte, bildete sich ein, nach seinem eigenen Gewissen zu handeln, wenn er menschenunwürdige Taten beging.
Aber auch wenn die Beziehung zur Autorität internalisiert wurde, darf man sich dies nicht so vorstellen, als ob damit das Gewissen vollständig von der äußeren Autorität getrennt wäre. Eine vollständige Trennung, wie wir sie bei Zwangsneurosen beobachten, ist eher die Ausnahme als die Regel. Normalerweise fühlt sich ein Mensch mit autoritärem Gewissen sowohl an die äußere Autorität als auch an ihr inneres Echo gebunden. Es besteht also eine ständige Wechselwirkung zwischen beiden. Die Gegenwart einer äußeren Autorität, die einem Menschen Furcht einflößt, ist die Quelle, [II-094] aus der die nach innen verlagerte Autorität, das Gewissen, ständig gespeist wird.
Download
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.
The Blackwell Companion to Hermeneutics by Keane Niall; Lawn Chris;(999)
Über die Freiheit by John Stuart Mill(916)
Zur Urgeschichte der Deutschen by Friedrich Engels(911)
Das Ende der Illusionen by Andreas Reckwitz(910)
Die Optimierungsfalle by Nida-Rümelin Julian(907)
Südostasien by Edith Konrad(900)
Das Wesen des Christentums by Ludwig Feuerbach(895)
Die Verantwortung der Linken by Jan Korte(893)
Dialettica dell'illuminismo by Theodor W. Adorno Max Horkheimer(868)
Fünf Meditationen über den Tod und über das Leben by Cheng François(859)
Der Fall by Camus Albert(843)
Negative Moderne by Hillenkamp Sven(830)
DMT: Forschung, Anwendung, Kultur by Markus Berger(823)
Anatomie der menschlichen Destruktivitaet by Erich Fromm Rainer Funk(820)
Friedrich v. Schiller's Biographie by Heinrich Döring(818)
The Political Fragmentation of Germany by Zef M. Segal(812)
Artgerecht ist nur die Freiheit - eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen by C.H.Beck(789)
Mit Marx gegen Marx (B00P9H8X5I) by Stefan Blankertz(777)
Werke by Georg Wilhelm Friedrich Hegel(774)