Politische Ideengeschichte by Martin Beckstein

Politische Ideengeschichte by Martin Beckstein

Autor:Martin Beckstein
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Vandenhoeck & Ruprecht
veröffentlicht: 2014-08-14T16:00:00+00:00


Kapitel 5

Der kontextuelle Ansatz: Am Beispiel des Epos des mexikanischen Volks

Weshalb sollte es für das Verständnis eines Texts aus der politischen Ideengeschichte wichtig sein, das genaue Erscheinungsdatum, den Entstehungskontext und Adressaten zu kennen? Streben Politikwissenschaftler und politische Philosophen nicht nach Erkenntnissen, die überzeitliche Gültigkeit beanspruchen können und damit letzten Endes alle Menschen ansprechen sollen? Peter Laslett zeigte in seiner Studie zu John Lockes Zweite Abhandlung über die Regierung, dass eine genaue Berücksichtigung von dessen Entstehungsgeschichte die Interpretation der Absicht der Schrift maßgeblich verändern muss.1 War Lockes Vertragsargument in der Zweiten Abhandlung als Schrift zur Legitimation der Glorious Revolution (1688/1689) verstanden worden, häufte Laslett eine Vielzahl von historischen Indizien an, die nahelegen, dass die Schrift bereits einige Jahre vorher geschrieben worden war. Locke konnte also nicht die Glorious Revolution vor Augen gehabt haben, durch die dem britischen politischen System parlamentarische Züge verliehen wurden. Viel eher bezog sich die Schrift auf die Kontroversen der Exclusion Crisis (1678–1681), die darum kreisten, ob der Bruder von Charles II. von der Thronfolge ausgeschlossen werden solle, weil ihn sein Katholizismus zu einer absolutistischen Regentschaft verleiten müsse. Was Laslett in seiner Locke-Studie herausgefunden hatte, wurde von jüngeren Kollegen an der Universität Cambridge wie J.G.A. Pocock, John Dunn und Quentin Skinner verallgemeinert: Wer die Entstehungsgeschichte und den Kontext einer politischen Schrift nicht systematisch untersucht, läuft Gefahr, sich in anachronistischen Interpretationen zu versteigen, indem der Text auf Ereignisse, Motive, Konzepte oder Fragestellungen bezogen wird, die der Autor zum Zeitpunkt der Abfassung gar nicht gekannt haben konnte. Die Interpretation eines politischen Texts dürfe daher, wenn sie falsche Schlüsse aufgrund von falscher zeitlicher Einordnung vermeiden will, den Horizont des Autors nicht überschreiten. Der daraus entstandene Ansatz wird – entsprechend seiner Entstehungsgeschichte – als derjenige der Cambridge School bezeichnet.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.