Pi mal Daumen by Alina Bronsky

Autor:Alina Bronsky [Bronsky, Alina]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch eBook
veröffentlicht: 2024-08-15T00:00:00+00:00

Secret Santa

Meine Mutter fragte, ob ich daran gedacht hätte, Moni etwas zu Weihnachten zu schenken, und ob man vielleicht bei uns im Fachbereich wichteln würde. Ich hätte ihr gern gesagt, dass ich nicht mehr im Kindergarten war und dass niemand im mathematischen Umfeld diesen Unsinn praktizierte. Leider hatten sich im Chat des Studiengangs bereits vor Wochen Gruppen gebildet, die Secret Santa I, Ia und II hießen und sich irgendwann zu einer Gesamtgruppe zusammenschlossen, nicht ohne vorher alle Modalitäten inklusive Stimmrecht ausführlich ausdiskutiert zu haben.

»Darf ich dir einen Vorschlag machen?«, fragte meine Mutter. »Wie wäre es mit einem Spa-Gutschein?«

Ich wusste immer noch nicht, was Spa bedeutete. So oft ich das Wort hörte und googelte, ich konnte kein Begriffsverständnis dafür entwickeln. Das Gleiche galt für Wellness. Wenn Leute Sauna und Massagen meinten, sollten sie das direkt sagen.

»Meinst du Sauna und Massagen?«, fragte ich.

»Das wäre vielleicht ein bisschen zu direkt«, lächelte meine Mutter.

»Das kannst du ihr selber schenken«, sagte ich.

»Vielleicht tu ich das.«

Es war keine leere Drohung. Meine Mutter delegierte viel, doch die Auswahl der Geschenke war Chefsache. Sie wusste nicht nur, wie man Familienmitglieder und Personal optimal beschenkte, sie machte sich auch Gedanken über die Zusammensetzung von Päckchen unterschiedlicher Größen und Werte, die zu Weihnachten an Bedürftige verteilt oder in Krisenregionen geschickt wurden. Meine Mutter, die nie selbst einkaufen ging, war stets genauestens über den Preis von Zahnbürsten, Seifen, Badekugeln und Ausmalheften informiert, schließlich kam es bei größeren Mengen auf jeden Cent an. Ich sah meine Mutter im Geiste einen Geschenkkorb für Moni zusammenstellen – ein mit ihrem Namen besticktes Saunahandtuch, eine Tube Duschgel mit Plätzchenduft und Wollsocken, die in einer Blindenwerkstatt gestrickt worden waren.

»Wäre ein Büchergutschein eine schöne Idee?«, fragte meine Mutter.

»Den kannst du mir schenken. Moni würde davon nur Stickerhefte für ihre Kevins holen«, sagte ich.

»Wann siehst du sie vor Weihnachten noch mal?«

»Gar nicht«, sagte ich. »Sie hat sich bereits in die Weihnachtspause verabschiedet und mir Plätzchen und Tee geschenkt.«

Ich hätte meiner Mutter gleich sagen können, dass ich mir bereits Anfang November Gedanken über ein Weihnachtsgeschenk für Moni gemacht hatte. Es waren ausgezeichnete Gedanken, die sich bestens umsetzen ließen. Außerdem hatte ich längst eingeplant, dass wir bei unserer Heimreise kurz bei Moni vorbeifuhren, damit ich das Geschenk abgeben konnte.

Meine Mutter atmete scharf aus. »Ich wünschte, du hättest es rechtzeitig gesagt. Unsere Planung ist bereits recht stramm.«

»Ich sag’s dir doch rechtzeitig. Es sind elfeinhalb Minuten Umweg.«

Ich hatte allerdings den Verkehr vor den Feiertagen unterschätzt. Es war schwer zu sagen, wer von uns beiden im Auto die schlechtere Laune hatte. Garantiert wäre ich mit der U-Bahn schneller gewesen. Aber dann hätte ich schwer tragen und meine junge Wirbelsäule unnötig strapazieren müssen.

Meine Mutter parkte vor Monis Hauseingang. »Soll ich mit reinkommen?«

»Nein. Ich stell’s nur ab.«

»Sag liebe Grüße.«

»Ich klingel nicht mal.«

Ich schleppte die Tasche hoch. Ich musste Moni dringend bitten, nächstes Mal in ein Haus mit Fahrstuhl zu ziehen. Ich hatte schließlich die hochwertigen, schweren Ausgaben genommen, die garantiert nicht schnell auseinanderfielen.

An der vertrauten Tür hing neuerdings ein Adventskranz mit Lametta. Ich stellte die Tasche auf dem Fußabtreter ab und rieb mir die Handflächen.

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