Philosophie des Orgasmus by Claus-Steffen Mahnkopf

Philosophie des Orgasmus by Claus-Steffen Mahnkopf

Autor:Claus-Steffen Mahnkopf
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Höhepunkt, Klimax, Lebenskunst, Orgasmus, Petite mort, Philosophie, Philosophie des guten Lebens, Sex, Sexualität, kleiner Tod, sexueller Höhepunkt
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2018-12-17T16:00:00+00:00


Die Poetik des Orgasmus

»Und es kam, es war nicht mehr aufzuhalten, die Krämpfe der Sehnsucht hätten nicht mehr verlängert werden können, es kam, gleichwie wenn ein Vorhang zerrisse, Tore aufsprängen, Dornenhecken sich erschlössen, Flammenmauern in sich zusammensänken ... Die Lösung, die Auflösung, die Erfüllung, die vollkommene Befriedigung brach herein ..., und mit entzücktem Aufjauchzen entwirrte sich alles zu einem Wohlklang, der in süßem und sehnsüchtigem Ritardando sogleich in einen anderen hinüber sank ... ein Fest, ein Triumph, eine zügellose Orgie ..., die in allen Klangschattierungen prahlte, sich durch alle Oktaven ergoss, aufweinend im Tremolando verzitterte, sang, jubelte, schluchzte, angetan mit allem brausenden, klingenden, perlenden, schäumenden Prunk der orchestralen Ausstattung sieghaft daherkam. Es lag etwas Brutales und Stumpfsinniges und zugleich etwas asketisch Religiöses, etwas wie Glaube und Selbstaufgabe in dem fanatischen Kultus dieses Nichts ... etwas Lasterhaftes in der Maßlosigkeit und Unersättlichkeit, mit der ... genossen ... wurde, und etwas zynisch Verzweifeltes, etwas wie Wille zu Wonne und Untergang in der Gier, mit der die letzte Süßigkeit aus ihr gesogen wurde, bis zur Erschöpfung, bis zum Ekel und Überdruss, bis [es] endlich, endlich in Ermattung nach allen Ausschweifungen ... mit einem wehmütigen Zögern erstarb.«

Eine wortgewaltige, bilderreiche, zugleich interpretierende Darstellung des Höhepunkts, vom jungen Thomas Mann am Ende der Buddenbrooks. Allein, es wird gar kein Orgasmus beschrieben, sondern der Schluss einer improvisierten Fantasie auf dem Klavier. Aber es ist – fast – das Gleiche und zeigt einmal mehr, dass die Musik von allen Künsten die »orgasmischste« ist.

Was erwarten wir von Literatur? Poetik, Fiktion, Neuinterpretation des Bekannten, eine ausgefeilte, exquisite Sprache, einen Tiefenblick in die Genauigkeit, das Stiften von Wörtern und ganzen Sätzen, damit überhaupt etwas zur Sprache kommt. Wir erwarten nicht das Sachliche, sondern eine Quintessenz. Das Wesen des Orgasmus, woran alle Wissenschaft und alle Fachbücher sich nicht wagen oder scheitern müssen. Dabei bieten sich die Epik und die Lyrik an.

Die raffinierteste Darstellung des Orgasmus in der Literatur stammt von niemandem Geringeren als James Joyce, in seinem Ulysses, mit dem der Autor seiner absoluten literarischen Überlegenheit ein Denkmal für die Ewigkeit setzte. Leopold Bloom irrt in 18 Episoden einen langen Tag durch Dublin und durchschreitet dabei bekanntlich einmal die ganze Welt. Joyce macht daraus ein Lexikon und einen Katalog all dessen, wessen Literatur fähig ist. Gegen Abend, im Kapitel Nausikaa nach der Tochter des phaiakischen Königs Alkinoos, die den schiffbrüchigen Odysseus am Strand entdeckte, masturbiert Bloom in der Hosentasche, als er ein junges Mädchen beobachtet, das ihn exhibitionistisch aufreizt. Es ist am Strand, die Leute sind gekommen, ein Feuerwerk zu bestaunen. Joyce vermeidet jede Nennung des Vorgangs selbst. Wer nicht darauf kommt, verpasst es. Vielmehr Subtexte, Anspielungen, Querverweise, Bildungsrätsel. »Und dann sprang eine Rakete hoch und schoss peng blind und O! dann barst die Leuchtkugelröhre auseinander und es war wie ein seufzendes O! und alles schrie O! und O! in Verzückung und es ergoss sich daraus ein Strom goldregnender Haarfäden und sie schimmerten auseinander und ah! da warens auf einmal lauter grünliche tauige Sterne die niederfielen mit güldenen, O so lebendig! O so sanft, süß, sanft!« – heißt es in der kongenialen Übersetzung von Hans Wollschläger.



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