Niemandsland by Andreas M

Niemandsland by Andreas M

Autor:Andreas M. [M., Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Ein unerwartetes Impromptu

„Monsieur?“

Andreas fuhr heftig auf und sah sich um. Ein junger Mann stand neben ihm auf der Terrasse und sagte höflich „Bonjour Monsieur. Ça va?”

„Ah, Gérome, du bist das. Junge, hast du mich vielleicht erschreckt!”

„Das wollte ich nicht“, antwortete der junge Mann und lächelte verlegen, „aber irgendwie scheint mich in diesem Haus nie jemand zu hören, wenn ich draußen klopfe.“

„Aha“, brummelte Andreas mißmutig. „Schon mal mit der Klingel probiert?“

„Sicher. Aber die geht glaube ich nicht. Soweit man das von außen hören kann.“

Andreas kratzte sich am Kopf. „Du bist reichlich früh dran. Bis Nachmittag ist es noch etwas hin.“

„Ich weiß. Ich war so frei und habe Evas Fahrrad abgeholt. Vom Nachbarn. Steht vor der Tür. Ist gar nicht viel daran kaputt. Ein paar Kratzer; le garde-boue… der… Schutzblech?“

Andreas reagierte nicht.

„Er ist ein bißchen verbogen, aber sonst alles in Ordnung.“

„Hm…“ Andreas dachte einen Moment nach. „Eigentlich war das jetzt keine Antwort auf meine Frage.“ Er legte den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und sah den Jungen prüfend an.

„Stimmt“, sagte der nur und schielte verlegen zur offenen Terrassentür.

Andreas atmete schnaufend aus, beschloß dann aber, es dabei bewenden zu lassen. „Na egal, jetzt bist du hier. Magst du was trinken? Kaffee oder Wasser? Eistee ist auch noch da. Glaube ich.“ Er sah den Jungen mit einem Ausdruck an, den er selbst für wohlwollendes Lächeln hielt. Der zupfte sich mit den Fingerspitzen das weiße T-Shirt vom Leib. Offenbar war er beim Transport von Evas verbeultem Rad ins Schwitzen geraten.

„Puh, heiß heute. Eistee wäre prima. Wenn es nicht zu viele Umstände macht, Monsieur.“

Immerhin, höflich ist er, dachte Andreas bei sich. Wortlos stand er auf und begab sich nach drinnen, zur Küche. Komisch, dachte er bei sich, als er den Eistee aus dem Kühlschrank nahm. Wovor soll ich mich eigentlich mehr fürchten? Davor, daß er der Falsche ist? Oder daß er der Richtige sein könnte? Daß er sich für mein Kind interessiert, ist klar…

Was vor allem in Andreas‘ Kopf umging, als er ins Wohnzimmer zurückkam, war die Einsicht, daß er sich eigentlich vor dem jungen Mann fürchtete. Was wiederum unverhohlenen Ärger in ihm hochsteigen ließ. Zumal er den Störenfried schon mitten im Wohnzimmer vorfand. Offenbar war er ihm ungefragt gefolgt und stand nun vor dem Flügel, den er neugierig musterte.

„Hier ist es angenehm kühler als draußen“, sagte der Junge, ohne den Blick von dem Musikinstrument zu nehmen. „Wow! Ein großer Yamaha-Flügel! Grand Piano! Und sieht aus wie neu. Darf ich?“ Er sah den Mann mit dem Tablett in der Hand fragend an.

„Kannst du spielen?“

„Ein wenig.“

„Bitte!“ Andreas stellte das Tablett auf den Couchtisch.

Der Junge klappte den Deckel des Flügels auf, nahm auf dem Hocker Platz und begann, einen Ragtime zu klimpern. Andreas war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit der Junge seine Hände über die Tasten gleiten ließ. Der Junge bemühte sich zwar immer wieder mal, eine passende blue note zu setzen, aber sein Spiel war dazu fast etwas zu technisch, obgleich eindeutig auf sehr hohem Niveau. Klassische Ausbildung, ganz ohne Zweifel, dachte Andreas bei sich.

„Nicht schlecht“, bemerkte er anerkennend, als der Ragtime zu Ende war.



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