Niemand ist ein Zigeuner by Wolfgang Wippermann

Niemand ist ein Zigeuner by Wolfgang Wippermann

Autor:Wolfgang Wippermann [Wippermann, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783896844842
veröffentlicht: 2015-04-18T16:00:00+00:00


10. »Lass maro tschatschepen«

Die Roma und der Antiziganismus

»Lass maro tschatschepen« – lasst uns unser Recht fordern –, heißt es in einem Lied des deutschen Sinto Häns’che Weiss aus dem Jahr 1977.110 Für diese Forderung bestand damals wahrlich Anlass. Wurde den Sinti und Roma doch nicht nur die »Wiedergutmachung« für das vergangene Unrecht durch die NS-Diktatur versagt, ihnen wurde auch von der neuen deutschen Demokratie weiteres Unrecht angetan.

Verschiedene Kommunen, wie z.B. Freiburg und Straubing, haben nach 1945 sogar versucht, die Wiederansiedlung der Überlebenden des Porrajmos mit allen, auch eindeutig rechtswidrigen Mitteln zu verhindern.111 Als dies nicht erfolgreich war, wiesen sie den Sinti und Roma Baracken und primitive Behelfswohnungen zu, welche diese an die »Zigeuner«- und Konzentrationslager erinnerten, in die sie die Nationalsozialisten gesperrt hatten.

Neuen und so nicht gekannten Behinderungen waren auch die Sinti und Roma ausgesetzt, die zur Sommerzeit noch mit ihren Wagen und Caravans herumreisten, um ihren Berufen als ambulante, d.h. fahrende Händler nachzugehen. Dabei stießen sie auf eine unerwartete Konkurrenz. Im Wirtschaftswunder Deutschland hatten viele gadsche Geschmack an dem gefunden, was sie wenige Jahre zuvor als »zigeunerische Lebensweise« bezeichnet und verachtet hatten. Gemeint war das Reisen mit Auto, Zelt und Wohnwagen. Um diese neuen Bedürfnisse der immer reiselustiger werdenden Deutschen zu befriedigen, entstanden zahlreiche neue Campingplätze. Einige von ihnen wurden aber sofort für »Zigeuner« verboten. Selbstverständlich war diese auf den Campingplätzen praktizierte Apartheid rechtswidrig, worauf die Sinti und Roma selber auch mehr als einmal hinwiesen. Dennoch fanden sie bei den Behörden weder Recht noch Gehör.

In den neuen Behörden und Verwaltungen der jungen Bundesrepublik wehte noch immer der nationalsozialistische Geist, nicht zuletzt deshalb, weil sich deren personelle Zusammensetzung nach 1945 nicht wesentlich geändert hatte. Waren die früheren »Zigeunerpolizei-« doch nur in »Landfahrerzentralen« umbenannt worden. In ihnen agierten meist noch die alten »Zigeunerpolizisten«, welche die Sinti und Roma in der NS-Zeit in die »Zigeuner-«, sowie Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert hatten. Dennoch wurden sie häufig als Gutachter in »Wiedergutmachungsverfahren« gehört. Dass die ehemaligen Täter sich in der Regel gegen ihre ehemaligen Opfer aussprachen, versteht sich von selbst. Auch deshalb ist das alte Unrecht nicht gesühnt worden.

Die notorisch pflichtbewussten Beamten der »Landfahrerzentralen« waren darüber hinaus bemüht, den Sinti und Roma neues Unrecht anzutun.112 Unter Berufung auf die alten entweder von Anfang an beibehaltenen oder nach dem Zwischenspiel der alliierten Verwaltung wieder in Kraft gesetzten »Zigeunergesetze« wurden die Sinti und Roma erneut in ihrer Berufsausübung und Bewegungsfreiheit behindert.113 Einigen ist sogar die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihnen von den Nationalsozialisten vor der Deportation entzogen worden war, nicht wiedergegeben oder erneut entzogen worden.114 Dies verstieß eindeutig gegen den Artikel 16 des Grundgesetzes.

Doch bei und mit wem konnten die Sinti und Roma ihr Recht einfordern? Von den Kirchen und den staatlichen Sozialeinrichtungen schon deshalb nicht, weil diese die Sinti und Roma nicht als ethnische Minderheit, sondern als eine soziale »Außenseiter«- oder »Randgruppe« wahrnahmen und sie aufforderten, sich endlich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Übersehen wurde dabei, dass sich die Sinti und Roma durchaus hatten integrieren wollen, was jedoch von der Mehrheitsgesellschaft und ihren Behörden systematisch verhindert worden ist.



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