Mittwochs am Meer by Alexander Oetker

Mittwochs am Meer by Alexander Oetker

Autor:Alexander Oetker [Oetker, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783455010978
Herausgeber: Atlantik


XIII

»Es ist, als hätte ich mir dieses Gefühl verboten. Sehr früh sogar. Als hätte ich gespürt, dass es keine Magie gibt. Und dann war mein Gefühl: Wenn ich als Mensch diesen Weg gehe, dann ziehe ich nur Menschen an, denen Ähnliches passiert ist. Menschen, die sich einen Panzer zugelegt haben gegen die Härten der Welt. Als ich ein junger Mann war, in der Vorbereitungsklasse für die Grande École, zählte nur Leistung. Die Studenten waren einzig und allein auf Erfolg ausgerichtet. Nicht nur im Studium, nein, auch im Leben. Es war kein Werben, kein romantisches Streben. Es war Trieb. Damals gab es dort ohnehin nicht so viele junge Frauen, und die, die es gab, waren darauf aus, so klug und stark und forsch zu sein wie die Männer – dabei waren sie ohnehin viel klüger. Wir alle verboten uns, allzu viele Gefühle preiszugeben. Ich habe gelernt, dass es mich schwächt, Gefühle zu zeigen.«

Maurice nahm noch einen Schluck Wein, und dann noch einen, bis das Glas leer war. Ihm fiel auf, dass es wie damals war, in der Grande École. Auch beim Essen ging es darum, schneller zu sein. Schneller als die anderen. Ihm war, als habe das Gespräch darüber das Gefühl heraufbeschworen.

»Ich hatte über einen kurzen Zeitraum wechselnde Freundinnen, aber irgendwann war da nur noch eine Frau: Agnès. Für viele Jahre, elf genauer gesagt, aber diese Jahre waren geprägt von ständigen Abwesenheiten. Mal war sie auf Reisen oder an einer Uni im Ausland, dann hatte sie wichtige Jobs, die sie ständig nach New York führten oder nach London – und ich war auch viel unterwegs, weil ich von Anfang an im Insolvenzrecht tätig war. Es ging weiter wie im Studium. Leistung und Flucht. Keine Ahnung, ob es eine Flucht vor uns war, eine Flucht vor den Gefühlen, die wir uns abtrainiert hatten. Wären wir zusammen gewesen, die ganze Zeit, wie ein junges Paar, dann hätten wir uns schnell getrennt, denke ich. Aber wir hatten, wenn wir uns dann sahen, auch gute Zeiten, wenn man das so sagen kann. Wir reisten, wir machten Städtetrips nach Barcelona oder Prag, und einmal im Jahr flogen wir zwei Wochen auf irgendeine Insel in der Karibik oder nach La Réunion. Wir richteten unsere Wohnung schön ein, wir zogen schnell zusammen, musst du wissen, in die Wohnung im Sechzehnten, die meine Eltern für mich gekauft hatten. Aber es folgte nichts daraus, weil sie nicht den nächsten Schritt gehen wollte oder auch weil ich es irgendwann nicht mehr wollte. Ich wollte kein Kind mit einer Frau, die so sein würde, wie meine Mutter es zu mir war. Das ist nicht böse gemeint: Ich wollte auch selber nicht wie mein Vater werden, Gott bewahre. Vielleicht wollte ich das alles gar nicht. Weißt du, warum?«

»Ich ahne es.«

»Ich konnte mir nicht sicher sein, dass ich genug Liebe empfinden würde für dieses kleine Wesen. Ich …« Er brach ab, weil er wusste, wie furchtbar das war. Es ließ ihn nicht im besten Licht dastehen. Aber es war ehrlich. Den nächsten Satz hörte er sich sagen, als käme seine Stimme aus weiter Ferne.



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