Martin Heideggers »Schwarze Hefte« by Heinz Marion; Kellerer Sidonie
Autor:Heinz, Marion; Kellerer, Sidonie [Heinz, Marion; Kellerer, Sidonie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Das »völkische« »Denken« macht das, was eine Bedingung und bildende Kraft ist, zum Gegenstand und eigentlichen Ziel. […] Wo ein Volk sich als Selbstzweck setzt, ist der Egoismus ins Riesige verbreitert, aber gar nichts an Bereich und Wahrheit gewonnen – die Blindheit des Seyns rettet sich in einen öden und groben »Biologismus« […]. All dieses ist von Grund auf undeutsch. Was sollen Denker in so rauschender Zeit?[18]
Diese und weitere Zeitbeobachtungen aus den 1930er Jahren ändern aber nichts daran, dass Heideggers Ton exakt mit dem Umschalten des Regimes von ›Kraft und Freude‹ auf ›Kampf und Krieg‹ auch selber wieder an Schärfe und Plakativität gewann. Wie ein getreuer Spiegel vollzogen Heideggers offenbar tägliche Notizen damit die Dynamisierungsschübe des Systems mit, in dem er lebte. Dazu gehört auch seine wiederholte, Anfang bis Mitte der 1930er Jahre aber 285fast völlig abwesende Charakterisierung des Judentums als ein in typischer Weise die ständig berechnende und zugleich bodenlose Seite der Seinsvergessenheit repräsentierendes Volk. »Die Juden«, so heißt es später, hätten immer schon am meisten versucht, nach dem Prinzip der Rasse zu leben, und es zugleich am wenigsten verstanden.[19] Weltsieg oder völliger Untergang, so an anderen Stellen, seien die einzigen Alternativen für die Zukunft des Judentums.[20]
Das eigentliche Merkmal dieses heideggerschen Antisemitismus liegt nicht so sehr in den Inhalten dieser Aussagen. Auch wenn sie sich zum Teil wörtlich in den Hetzreden der NS-Größen wiederfinden lassen, sind die konkreten Motive hier wie dort nicht neu, sondern tradierter Teil eines rassistischen Sprechens über die Juden, wie es mit der biopolitischen Neuerfindung des Antisemitismus in den 1880er Jahren aufkam.[21] Das Singuläre des nationalsozialistischen Antisemitismus lag in seiner Praxis, lag darin, dass er mit diesem Sprechen ernst gemacht, es wörtlich in die Tat umgesetzt hat, nicht aber in einer eigenen oder gar neuen antisemitischen Ideologievariante. Der schlichte Rückgriff Heideggers auf Motive, die sich schon bei Chamberlain, Weininger, Fritzsch oder Ploetz nachlesen lassen, stellt dafür einen weiteren Beleg dar.[22] Eine der frühesten und präzisesten Analysen dieses biopolitischen Antisemitismus hat Eric Voegelin mit seinem Buch Rasse und Staat bereits 1933 vorgelegt. Das Fatale dieses rassistischen Antisemitismus, so Voegelin, sei nicht seine Reduzierung einer ganzen Kultur auf natürlich-körperliche Merkmale, sondern die gerade damit einhergehende Abstrahierung des Judentums zu einem bloßen Gegenprinzip, zum Gespenst einer bloßen Gegenrasse, das jegliche Wahrnehmung der tatsächlichen jüdischen Lebenswirklichkeit verunmögliche, die ihrerseits zum nur mehr störenden und zu beseitigenden Element wird.[23]
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