Lust auf dich by Volo Fabio

Lust auf dich by Volo Fabio

Autor:Volo, Fabio [Volo, Fabio]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257604191
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-13T05:00:00+00:00


[157] 13. Mai

Es ist einfach wunderbar, sich vollständig hinzugeben!

Früher war ich nicht in der Lage, über meinen Körper Gefühle auszudrücken. Vielleicht ist er deshalb nie wirklich meiner gewesen. Ich habe darin gewohnt wie in einer Hülle. Etwas hat mich immer daran gehindert, ihn zu fühlen und auf ihn zu hören, ein Bewusstsein von ihm zu haben. Ich konnte nicht denken, handeln und lieben, wie ich gesollt und vielleicht gewollt hätte. Heute hingegen ist es, als wäre ein Damm in mir gebrochen. Es ist nicht einfach gewesen, das zu lernen, und meine Erziehung hat mir dabei sicher nicht geholfen. Als Kind hatte ich ein enges Verhältnis zu meinem Vater, ich habe ihn geliebt, ständig warf ich mich ihm in die Arme und saß auf seinem Schoß. Als mein Körper sich zu entwickeln begann und mir Brüste gewachsen sind, hat sich das natürlich verändert. Mein Vater hat mich nicht länger in die Arme genommen, und die Körperkontakte zwischen uns wurden weniger.

In der Schule habe ich meine körperliche Entwicklung oft als peinlich empfunden. Ich habe versucht, meinen wachsenden Busen mit Hilfe weiter Pullover zu kaschieren.

Als kleines Mädchen habe ich immer mal vor dem Spiegel meinen rätselhaftesten Körperteil untersucht. Habe ihn [158] berührt, gestreichelt und zu begreifen versucht. Einmal hat meine Mutter mich erwischt und mir auf Hand und Wange geschlagen. Ich hätte es gern noch öfter getan, weil es sich gut anfühlte, aber nun wusste ich ja, dass das böse war, und habe mich geschämt.

Sexuell habe ich mich nie richtig gut kennengelernt, ich hatte nicht den Wunsch, auszuprobieren, zu untersuchen, zu erforschen. Alles Sexuelle war mir peinlich. Vielleicht ist Paolo deshalb der perfekte Ehemann für mich gewesen. Wir haben immer gelebt, um anderen zu gefallen, um akzeptiert zu werden, ohne uns je zu fragen, wer wir wirklich sind. Um schließlich sogar zu vergessen, wer diese anderen waren, für die wir all die Opfer brachten. Unser Lebensweg wurde von unseren Grenzen und Ängsten bestimmt.

Ohne es je zu hinterfragen, haben wir in einer Art Blase gelebt, abgekapselt vom eigentlichen Leben. Wie ich hat auch Paolo sich nie gefragt, was ihn glücklich macht, und deshalb haben wir perfekt zusammengepasst. Wie ich hat auch er gedacht, Glück oder Lust nicht verdient zu haben. Wenn er mich nicht erregte, fühlte ich mich schuldig; doch selbst wenn es mir Spaß machte, habe ich mich schuldig gefühlt, als hätte ich einen Orgasmus nicht verdient.

Wir hätten besser auf unsere inneren Stimmen hören sollen, statt auf das Geschrei der Welt. »Ich liebe dich«, haben wir nur unserer inneren, tiefempfundenen Leere wegen gesagt, das habe ich mittlerweile begriffen. In dem Augenblick, als ich dem Unvorhersehbaren einen Platz zugestanden und den Mut aufgebracht habe, meiner Lust Vorrang einzuräumen, habe ich mich verändert, und meine [159] Wünsche sind ans Licht gekommen. Ein Kuss hat gereicht, um mich zu wecken, wie im Märchen. Ein Kuss auf den Mund, und der böse Zauber war wie verflogen, die Festung der Selbsttäuschung hat gebröckelt und ist in sich zusammengefallen. Meine Lust hat mich befreit. Ich bin endlich erwacht.



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