Kurze Begegnungen mit Che Guevara by Ben Fountain

Kurze Begegnungen mit Che Guevara by Ben Fountain

Autor:Ben Fountain [Fountain, Ben]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
ISBN: 9783423426459
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2015-04-25T00:00:00+00:00


Bouki und das Kokain

Syto Charles hatte die Rennboote als Erster gesehen. Sie kamen seit dem Frühjahr, gleich nachdem die Friedenstruppen abgezogen worden waren, immer nachts, immer pfeilschnell schossen sie von Süden herbei, mit einem markerschütternden schrillen Röhren, das ihm nichts als Ärger verhieß. Bald wussten alle Haitianer an der Südküste Bescheid über die Boote, dass die aus Kolumbien kamen und zehn knochenbrechende Stunden lang mit einer Ladung Kokain und sonstigem Gangsterbedarf übers Meer jagten, damit ihre Partner auf der haitianischen Seite das Geschäft aufziehen konnten. Eine barbarische neue Bedrohung, vor der Marigots Polizeichef Michelet sechsmal täglich im Radio warnte. »Jeder, der etwas darüber weiß, soll uns bitte informieren«, blaffte er auf Radio Lumière, er hatte eine tiefe, aber seltsam trillernde Stimme ohne wirkliches Timbre. »Wir brauchen die Wachsamkeit aller Bürger, ihre Unterstützung für unseren Kampf gegen diese schreckliche Geißel.« In der Bezirkshauptstadt Jacmel starteten und landeten zu jeder nächtlichen Stunde Flugzeuge, mit denen wurden die Drogen nach Amerika weitertransportiert, erzählten die Leute. In Port-au-Prince schossen sich rivalisierende Banden gegenseitig aus dem Weg, und die Bauernhäuser an den Berghängen oberhalb der Hauptstadt wurden eins nach dem anderen von Villen im Miami-Stil verdrängt.

»Ah-hah«, sagte Lulu und sah einem Rennboot hinterher, das einen halben Kilometer vor dem Bug durch das neblige Licht des Morgengrauens in Richtung Süden flitzte. Louis, genannt Lulu, war Sytos jüngerer Bruder, stark wie ein Bär, im besten Mannesalter und von Natur aus der glücklichere Mensch als Syto, aber auch sarkastischer. Obendrein war er anmutig, was ihn gleichermaßen zum attraktiven Objekt für Frauen wie zum erstklassigen Bootsmann machte, auch wenn er sich neuerdings als Künstler bezeichnete und rapide die Lust am Fischen verlor. »Das sind also die Penner, die das Land ruinieren.«

Syto prokelte ein Korallenstück aus einem der Netze. »Das Land, nur falls du es noch nicht mitgekriegt hast, ist längst ruiniert.«

»Die kommen und gehen einfach so, und kein Mensch hält sie auf?«

Syto starrte finster auf das Netz. »Du darfst es herzlich gern versuchen.«

Einen Moment lang sahen beide dem Flitzer nach, der Rumpf lag flach wie ein Flansch auf dem Wasser, hinter der Windschutzscheibe klebten drei topfdeckelartig behelmte Köpfe. Aus dem Heck schoss die Gischt im hohen Bogen wie Hahnenschwänze; das Boot war wunderschön im purpurgesprenkelten grauen Licht, auf eine kalte, grausame, strahlende Art schön.

»Fout«, murmelte Lulu, schon etwas maliziöser, »guck dir doch dieses Boot bloß mal an.« Er warf einen angesäuerten Blick nach hinten auf ihren eigenen Kahn, eine Schaluppe mit niedrigem Tiefgang, der Mast aus Bambus, unten drin aller mögliche Krempel – Netze, selbst gebastelte Ruder, zerkrümelnde Styroporbojen, ein Sack Steine als Geschosse gegen eventuelle Diebe. »Wie machen die das eigentlich?«, fragte er. »Treffen die sich da an Land mit ihren Kumpeln und übergeben das Zeug?«

Syto zuckte die Schultern. »Manchmal ja, nehme ich an. Manchmal lassen sie es auch einfach da liegen.«

»Die lassen das liegen? Die werfen das einfach ab, in der Hoffnung, ihre Kumpel kommen dann schon?«

»Na, auf den Felsen über Bois Rouge, ja. In der Bucht da oben.«

»Du hast das schon mal gesehen?«

»Ja, manchmal morgens. Ich fahre da immer mal hin, chèvrèt fischen, und dann sehe ich die Säcke oben auf dem Felsen liegen.



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