Kunst als Philosophie by Pippin Robert B

Kunst als Philosophie by Pippin Robert B

Autor:Pippin, Robert B. [Pippin, Robert B.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-06-07T16:00:00+00:00


V

Mit dieser mageren Zusammenfassung im Hintergrund können wir zu unserem Hegelschen theoretischen Rahmen zurückkehren. Bilder erheben offensichtlich keinen Anspruch auf diskursive Wahrheit, große Kunstwerke jedoch streben eindeutig nach einer nicht-begrifflichen oder vor-begrifflichen oder nicht vollständig oder völlig begrifflichen (je nach der Theorie, die man verwendet, und deren Beziehung zu Kant) Manifestation der Wahrheit. Auf der 144fundamentalsten Ebene setzt schon die bloße Existenz des Kunstwerks die Möglichkeit voraus, daß die Skepsis hinsichtlich einer öffentlich geteilten Bedeutung zunichte gemacht wird (die in Frage stehende Wahrheit ist zumindest die Wahrheit einer bestimmten künstlerischen Intelligibilität, könnte man sagen), und diese Möglichkeit wird in den sichtbaren Annahmen über die Beziehung zum Betrachter häufig allegorisiert. Doch man kann derartige Manifestationen auch so verstehen, daß sie dem immer größer werdenden Druck der posthegelschen Welt und damit folglich der posthegelschen ästhetischen Traditionen unterworfen sind. Frieds Bemerkungen über »Verzweiflung« und »zunehmende Schwierigkeiten« deuten darauf hin. Bei weitem der stärkste Druck wurde im Bild des »amphibischen« Problems zusammengefaßt: Wir verfügen in einem umfassenden Sinn sowohl über eine Natur als auch über eine Geschichte, sind sowohl endliche Mitglieder einer distinkten Gattung und doch fähig, uns zu Geschöpfen zu machen, die nur lose, nur minimal mit dem verbunden sind, was die artspezifischen oder biologischen Charakteristika fordern. Und die bei weitem größte Aufgabe, der wir uns in dieser Situation gegenübersehen, besteht darin, herauszufinden, wie man sich anderen gegenüber so verhält, daß beide Dimensionen dessen, was wir sind (oder – selbst hier müssen wir das sagen – was wir als das bestimmt haben, was wir sind), Subjekt ebenso wie Objekt, in angemessener Weise anerkannt werden. Bei unserer Betrachtung der Interpretation von Kunst ist dieses Problem als ein Problem der Klasse (oder man könnte sagen: der Rolle der Macht) aufgetreten und wie Klasse in unserem Selbstverständnis vermittelt wird sowie als Problem des Betrachters – des historisch veränderlichen Verständnisses der Struktur einer betrachtenden Beziehung – und als Vermeiden von Theatralität.

145Ich bin davon ausgegangen, daß die Malerei das Problem der Theatralität direkt ansprach, weil die Welt Diderots dieses Problem in einer neuen, vorher nicht dagewesenen Weise ansprach. (Das Vermeiden von Theatralität mag eine allgemeine Bedingung für Erfolg in der Malerei oder im Theater sein, doch als Problem ist es nicht das Problem Dürers oder Tizians oder Caravaggios.)[58] Diderot und Rousseau waren fast unmittelbare Zeitgenossen, und so ist die Beobachtung nicht weiter überraschend, daß Rousseau sich darüber beunruhigt, wie sehr der moderne Mensch »immer außer sich, nur in der Meinung der anderen« lebt.[59] Die Glaubwürdigkeit antitheatralischer Strategien kann nicht von der Glaubwürdigkeit der Bestrebungen nach gesellschaftlicher Unabhängigkeit und echter Individualität getrennt werden, von dem großen, alle vereinenden Ruf der politischen Moderne. Diese Bestrebungen sind bedroht, wenn das gemeinsame Vertrauen in Institutionen und gemeinschaftliche Praktiken so gering ist, daß man das Gefühl hat, der eigene Wille sei unausweichlich anderen unterworfen, wenn man nicht darum kämpft, deren Willen dem eigenen zu unterwerfen, und wenn damit alles, was man tut, vielleicht nicht der eigene Wille ist, sondern bereits immer und überall den der anderen mit in Betracht zieht, daß man ein Schauspieler ist, der versucht, ein Publikum zu beherrschen, oder aber selbst beherrscht wird.



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