Kellerassel by Nössler Regina

Kellerassel by Nössler Regina

Autor:Nössler, Regina [Nössler, Regina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Konkursbuch
veröffentlicht: 2023-10-24T00:00:00+00:00


19

Es lief nicht gut für Oliver Kliem. Gar nicht gut. Die verdrängte Scham wegen der Sache in der Hasenheide bahnte sich manchmal aus heiterem Himmel ihren Weg und stieg an die Oberfläche. Er hatte immer noch nicht vergessen, wie Dr. Stephan zwei Tage nach dem Vorfall mit ihm umgegangen war. Amüsiert und herablassend.

»Huch, was ist denn mit Ihnen passiert?«, hatte sie gesagt. »Ein Unfall? Oder haben Sie sich etwa geprügelt?«

Natürlich wusste er um die Abschürfungen in seinem Gesicht, die von dem trockenen, harten Boden im Park herrührten. Sie waren unübersehbar. Und er wusste auch, wie sein Gang wirken musste. Unsicher. Wackelig.

»Ich hoffe, Sie haben das desinfiziert«, hatte Dr. Stephan gesagt und auf sein Gesicht gedeutet.

»Ja, ja, habe ich.«

Lass mich bloß in Ruhe, hatte er gedacht. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, dass Dr. Stephan in seinem Gesicht herumpatschte, und sie hatte so ausgesehen, als wäre sie kurz davor, die Hand schon ausgestreckt. Je länger Oliver sie kannte, desto weniger konnte er ihre Art leiden, er konnte nicht leiden, wie sie ihn ansah, immer leicht belustigt, wie sie mit ihm sprach. Seine Laune sank in den Keller, wenn sie am selben Tag arbeitete wie er. Was leider oft der Fall war.

Nicht zu vergessen: Niklas. Wie weit war der Zahltag noch entfernt? Drei Wochen? Zwei Wochen? Allein schon dieses scheußliche Wort: Zahltag. Niklas hatte damals auf einem Darlehensvertrag bestanden. »Das ist aber sehr förmlich, findest du nicht?«, hatte Oliver gesagt – leicht verwundert und auch gekränkt, dass Niklas es zur Bedingung machte. »Ist das denn wirklich nötig? Das geht doch auch ohne, findest du nicht? Wir sind doch Freunde. Du weißt, dass du es zurückbekommst. Das weißt du doch.«

Sicher ist sicher. Das hatte Niklas ernsthaft gesagt. »Ein kleiner Vertrag wäre mir lieber. Sicher ist sicher. Ist ja eine Menge Geld.«

Es wurde immer schlimmer. Normalerweise gab es einen Punkt, ab dem sich alles wieder zum Guten wendete. Jedenfalls war das bisher in Olivers Leben so gewesen. Jetzt nicht. Jetzt ging alles bergab. Steil bergab. Die Hasenheidenscham verschwand nicht. Die Schulden bei Niklas erst recht nicht. Isabel ignorierte ihn und verbrachte ihre Mittagspausen mit Dr. Stephan statt mit ihm. Was hatten die beiden eigentlich immer so viel zu bereden? Dr. Stephan war eine fette, alte, rauchende Kuh, die draußen vor der Arena ständig Wurst fraß. Das sollte ja gerade sie als Ärztin besser wissen. Oliver schickte Niklas mehrere WhatsApp-Nachrichten, in denen er ihre Freundschaft beschwor, flehte, schmeichelte, versicherte, auf ihn sei Verlass, in denen er schrieb, dass Niklas ihm die Luft zum Atmen nehme. »Ich brauche nur noch ein bisschen Zeit«, bettelte er. Er hoffte auf Einsehen, Mitgefühl, Milde, er hoffte, dass seine Nachrichten Niklas dazu brachten, geduldiger zu sein. Niklas antwortete nicht.

Außen hatte sich nichts verändert. Die verfluchte Sonne schien den ganzen Tag und machte Oliver allmählich gereizt. Die Stadt war wieder voller geworden, auch erste Touristen kehrten zurück. Die Leute machten sich angeblich Sorgen, was man so hörte, wegen der Pandemie, wegen ihrer Kinder, ihrer Jobs, aber das alles war weit entfernt von Oliver.



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