Hot Water Music by Charles Bukowski

Hot Water Music by Charles Bukowski

Autor:Charles Bukowski [Bukowski, Charles]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-04-07T22:00:00+00:00


Die Büste von Marx

Wenn die Sonne unterging, setzte sich Margie gewöhnlich ans Klavier und fing an, Chopin-Nocturnes zu spielen. Sie bewohnte ein großes Haus, ein Stück von der Straße zurückgesetzt, und die Zeit bis Sonnenuntergang verbrachte sie damit, sich mit Brandy oder Scotch in die richtige Stimmung zu bringen. Sie war 43, hatte zarte Gesichtszüge und immer noch eine schlanke Figur. Ihr Mann war schon mit Ende dreißig gestorben – fünf Jahre war es jetzt her –, und sie lebte offenbar ganz allein. Ihr Mann war Arzt gewesen und hatte bei Börsenspekulationen eine glückliche Hand gehabt. Das Geld war gut angelegt und brachte ihr ein festes monatliches Einkommen von 2000 Dollar. Ein guter Teil der 2000 Dollar ging für Brandy und Scotch drauf.

Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie zwei Affären gehabt, doch beide Male war es eine lustlose Angelegenheit gewesen und bald wieder zu Ende gegangen. Männern schien das gewisse Etwas zu fehlen, und die meisten waren, was Sex und geistige Anregung betraf, schlechte Liebhaber. Harry, ihr verstorbener Ehemann, war wenigstens ab und zu mit ihr ins Sinfoniekonzert gegangen. Sicher, Zubin Mehta war weiß Gott ein kümmerlicher Dirigent, aber es war immer noch besser, als sich Laverne und Shirley im Fernsehen anzuschauen. Margie hatte sich ganz einfach damit abgefunden, daß sie ohne Männer auskommen mußte. Sie lebte still und zurückgezogen, mit ihrem Klavier und mit ihrem Brandy oder Scotch. Und wenn die Sonne unterging, hatte sie ihr Klavier und ihren Chopin sehr nötig, und ihren Scotch oder Brandy erst recht. Wenn es draußen anfing, dunkel zu werden, griff sie auch immer stärker zu ihren Zigaretten und rauchte eine nach der anderen.

Die einzige Abwechslung wurde ihr von dem neuen Paar geboten, das im Haus nebenan eingezogen war. Nur daß man kaum von einem Paar sprechen konnte. Der Mann war zwanzig Jahre älter als die Frau, ein gewalttätiger, bärtiger, bärenstarker Kerl, der einen halb irren Eindruck machte. Er war ein häßlicher Mensch, der ständig entweder betrunken oder verkatert zu sein schien. Die Frau, mit der er zusammenlebte, war ebenfalls seltsam – immer so mürrisch und gleichgültig, fast geistesabwesend. Die beiden schienen etwas aneinander zu finden, und doch war es so, als hätte man zwei Feinde zusammengesperrt. Sie hatten ständig Krach. Gewöhnlich hörte Margie zuerst die Stimme der Frau, dann plötzlich und sehr laut die des Mannes, und der Mann schrie jedesmal etwas Unflätiges und Gehässiges. Manchmal folgte dem Wortwechsel auch noch das Klirren und Splittern von Glas. Doch meistens konnte man den Mann in seinem alten Wagen wegfahren sehen, und dann blieb es in der Nachbarschaft zwei oder drei Tage ruhig. Bis er wiederkam. Zweimal hatte die Polizei den Mann schon weggeschafft, doch er kam immer wieder.

Eines Tages sah Margie sein Foto in der Zeitung – er war der Dichter Marx Renoffski. Sie hatte schon von seinen Büchern gehört. Am folgenden Tag ging sie in eine Buchhandlung und kaufte alles, was sie von ihm hatten. Am Nachmittag mixte sie ihren Brandy mit seinen Gedichten, und als es Abend wurde, vergaß sie, ihre Chopin-Nocturnes zu spielen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.