Herzsprung - wenn Liebe missbraucht wird by Blobel Brigitte

Autor:Blobel, Brigitte [Blobel, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
Herausgeber: Arena
veröffentlicht: 2014-03-10T23:00:00+00:00

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Was mich so fertigmacht, ist, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben entschlossen habe, einen Jungen gernzuhaben, und schon ist alles so schrecklich kompliziert. Dazu kommt meine ständige Furcht, dass er zu viel wissen will. Und ich kann doch nichts von mir erzählen, ohne mich zu verraten. Dabei möchte ich ja reden. Doch gleichzeitig weiß ich, dass ich es nicht kann. Ich wollte mich eigentlich gar nicht verlieben. Ich habe immer schon gedacht, dass das nichts für mich ist, dass das schiefgehen muss. Schließlich gehören zur Liebe auch ein Kuss und solche Sachen und davor graust es mich. Ich habe mir nie wie die anderen Mädchen in meiner Klasse die Wimpern getuscht oder das Taschengeld zusammengespart, um heimlich Stöckelschuhe zu kaufen. Ich hab auch nie Mutters Schminksachen ausprobiert. Mir ist es nur recht, wie ein graues Mäuschen herumzulaufen. Dann quatschen einen die Jungen jedenfalls nicht an und ich muss keine blöden Ausreden erfinden, wenn sie im Kino oder auf Partys abends plötzlich schmusen wollen.

Und dann kommt auf einmal Flo und alles ist anders. Das heißt, es ist nur ein bisschen anders. Anfassen lassen kann ich mich auch von ihm nicht. Aber ich mag mit ihm reden, ich mag ihn lachen hören und ich mag es unheimlich gern, wenn er über die Wiesen läuft und einen Blumenstrauß für mich pflückt.

Es wäre schön, Flo zum Freund zu haben. Jemand, den ich anrufen kann, wenn mir danach ist, und mit dem ich über das Leben reden kann. Mit Carmen bringe ich es nicht fertig, über das Leben zu reden. Über Musik, ja, auch über neue Klamotten und was in der Schule so läuft und wer gerade mit wem geht, das ist in Ordnung, das macht Spaß. Aber Carmen interessiert sich für nichts anderes, für die Umwelt und das Ozonloch zum Beispiel. »Solange ich lebe, wird die Ozonschicht sicher noch halten«, hat sie gesagt, als ich einmal mit ihr darüber diskutieren wollte.

Und als ich ihr von einem Mädchen erzählt habe, das weiß, dass es in ein paar Jahren sterben muss, hat sie nur mit den Schultern gezuckt: »Wir müssen doch alle irgendwann sterben«, war ihr ganzer Kommentar.

Damals hab ich für einen Augenblick gedacht, ich kann mit Carmen nicht länger befreundet sein. Aber auf der anderen Seite ist sie so fröhlich und lustig und nimmt nichts lange krumm. Ich bin ja schließlich auch nicht ganz einfach. Also, denke ich, sind wir wieder quitt. Ohne sie wäre ich in den letzten Jahren noch viel einsamer und unglücklicher gewesen.

Aber mit Flo, denke ich weiter, könnte ich über andere Dinge reden. Flo flößt mir Vertrauen ein und den Wunsch zu reden. Ich würde gern hören, was er über das Ozonloch denkt oder was er von Menschen hält, die sich umbringen, weil sie das Leben nicht mehr ertragen.

Ich hab Carmen nie erzählt, dass ich schon einmal daran gedacht habe, vom Turm der Nikolaikirche in die Tiefe zu springen.

Ich habe ihr nicht einmal erzählt, dass ich oben auf dem Turm stand und sehnsüchtig darauf wartete, dass die Touristengruppe, die hinter mir die Wendeltreppe hochgeklettert war, endlich wieder verschwand.

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