Henkerstropfen by Henn Carsten Sebastian

Henkerstropfen by Henn Carsten Sebastian

Autor:Henn, Carsten Sebastian
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588304
veröffentlicht: 2017-03-03T16:00:00+00:00


Wenn der Schwarzstorch kommt

Antoine Carême hielt fassungslos die Graureiherleiche an den Füßen empor. »Ich wollte nur vielen Trüffel finden, und dann stoße ich auf die tote große Vogel hier! Sieht aus, als sei er explodiert.«

Mit dieser Beschreibung traf der kleine Sinziger Koch ins Schwarze. Eigentlich war alles an dem Vogel intakt, nur der Kopf sah aus, als hätte James Bond darin eine Sprengkapsel Marke »Q« gezündet.

»Wer macht so einen Sache?«, fragte Carême, seine normannische Abstammung unüberhörbar. »Halt die Augen offen nach verrückten Jäger, ja?«

»Ja«, antwortete Josef Brand und presste die Lippen aufeinander. »So etwas darf hier nicht wieder passieren.« Er packte die Forellen für den Spitzenkoch in einen Kühlkarton aus Styropor und reichte ihn über den Tresen. »Ganz frisch.«

Den Graureiher ließ Carême auf Wunsch von Josef Brand bei ihm. Der schloss rasch die Tür nach seinem besten Kunden, fiel auf die Knie und griff sich das Tier. Tränen rannen über seine Wangen.

Josef Brand war ein netter Mann. Mit seinen siebenundfünfzig Jahren steuerte er gemächlich Richtung Altenteil, in Pützfeld war er als ruhiger Zeitgenosse angesehen, der das Wesen eines Pfarrers im Körper eines Ringers trug, der am Abend gern seine Weinschorle trank und frische Luft mehr liebte als Kneipenqualm. Doch dass Josef Brand nun heulend einen toten Graureiher an sich drückte, hatte nichts damit zu tun, dass er ein hochanständiger Mensch und Tierliebhaber war. Nein. Es hatte damit zu tun, dass dieser Vogel auf seinem Gewissen lastete.

Nach einer schlaflosen Nacht blickte Josef Brand am nächsten Morgen lange auf seinen Fischteich. Die Forellen zogen ruhig ihre Bahnen und ließen elegante Wellentäler über das Wasser gleiten. Bachforellen, keine aus Amerika importierten schnellwüchsigen Regenbogenforellen. Zählen ließen sie sich nicht, doch Josef Brand wusste auch so, dass vierundzwanzig fehlten. Er konnte es an der Wasseroberfläche sehen. Seit frühester Kindheit kannte er das Spiel der Linien, hatte später den Betrieb vom Vater übernommen und dachte selbst schon lange wie ein Fisch. Das heißt, er dachte nicht sonderlich viel, er war zufrieden, wenn das Wasser sauber und das Futter gut war.

Und alles am richtigen Platz.

Doch in seinem Teich fehlten Forellen.

Wieder.

Jemand raubte seine Forellen.

Ein Jeep rollte über die nicht asphaltierte Zufahrt zum Hofladen und blieb stehen, als der Fahrer Josef Brand am Teich stehen sah. Ein Fenster wurde heruntergekurbelt.

»Und, hast du das Mistvieh erwischt?«

Josef Brand schüttelte den Kopf.

»Hat er etwa wieder welche von deinen Fischen geholt?«

Josef Brand nickte.

»Mein Beileid«, war aus dem Jeep zu hören, das Fenster wurde hochgekurbelt, der Wagen rückwärts aus der Zufahrt gesetzt.

Das war Rüdiger Hoensfeld gewesen. Brands Nachbar. Ihm gehörte das große Waldstück, das sich bis über die Kuppe der nördlichen Erhöhung erstreckte. Josef Brand mochte Hoensfeld nicht sonderlich, denn der redete gern. Betrübt blickte der Forellenzüchter auf den kleinen Erdhügel nahe der großen Eiche hinter dem Teich. Darunter lag nun der Graureiher. Unter dem Hügel daneben ein Schwarzspecht. Unter der kleinen Erhöhung ein Uhu.

Und unter keinem lag der verdammte Schwarzstorch.

Unter keinem der vermaledeite gefiederte Forellendieb.

Heute würde er also wieder seine alte Flinte zur Hand nehmen und suchen müssen. Nachts, wenn ihn niemand sah.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.