Hegels Welt (German Edition) by Kaube Jürgen

Hegels Welt (German Edition) by Kaube Jürgen

Autor:Kaube, Jürgen [Kaube, Jürgen]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2020-08-17T16:00:00+00:00


Vierzehntes Kapitel

Vernünftig, wirklich, wirklich vernünftig?

Hegel in einem Satz

«Als ich einst unmutig war über das Wort: ‹Alles, was ist, ist vernünftig›, lächelte er sonderbar und bemerkte: ‹Es könnte auch heißen: Alles, was vernünftig ist, muß sein.› Er sah sich hastig um, beruhigte sich aber bald, denn nur Heinrich Beer hatte das Wort gehört.»

Heinrich Heine über eine Begegnung mit Hegel

B ehauptet ein Philosoph, alles fließe, wird das nicht als starke Übertreibung behandelt, sondern es finden nachdenkliche Deutungsversuche statt. Ephesos liegt am Meer, und irgendwie fließt ja zumindest sehr vieles. «Auch der Himmel, auch die Berge, auch der Philosoph selber?», versetzt allerdings ein anderer Theoretiker. Womöglich jedoch war gar nicht das Fließen, sondern die anfängliche All-Behauptung das philosophisch Interessante. Schließlich wurde auch gesagt, alles sei voll von Göttern, alles entspringe dem Feuer oder dem Wasser und was dergleichen frühe Weltbegriffe waren. Naheliegend die Frage: «Weshalb wurde die Welt denn nicht etwa als Vielheit gedeutet», sondern als Herkunft aus einem? Allerdings war die Philosophie noch ganz jung und also entweder frisch und tief oder unausgebildet, als so formuliert wurde. Behauptet ein weiterer Philosoph, als sie schon sehr viel älter war, die Welt sei alles – schon wieder alles –, was der Fall sei, sind Mit- und Nachwelt zumindest erleichtert. Zum Glück nämlich lässt sich so einem bedeutenden, freilich in weiten Teilen sehr spröden Werk, in dem sich auch so schwierige Sätze finden wie: «Immer kann man die Logik so auffassen, daß jeder Satz sein eigener Beweis ist», wenigstens ein zwischen Tiefsinn, Banalität und religiöser Metaphorik – der Fall Adams! – changierender, vor allem aber zitierbarer Satz entnehmen. [1]

Solche Sätze der Philosophie gehören zu ihrer Wirkungsgeschichte. Sie erlauben es, das Schwierige leicht zu tragen und machen es damit transportabel: Philosophieren heißt sterben lernen; cogito ergo sum; Sein ist Wahrgenommenwerden; Aufklärung ist der Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit und so weiter. Doch die Operation, aus komplexen Argumentationen formelhafte Mitteilungen herauszulösen, ist nicht einfach nur ein Effekt der Schwierigkeit philosophischen Denkens oder des Aufwands philologischer Forschung, was Heraklit denn gemeint haben könnte. Sie dient vielfältigen Zwecken. Martin Heidegger etwa hat in einer phantasievollen Analyse versucht, über einen einzigen Satz des Anaximander die gesamte Geschichte der Philosophie aus den Angeln zu heben. Jener seit jeher falsch übersetzte Satz – «Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch zu Grunde gehen, nach der Notwendigkeit; denn sie müssen einander Buße zahlen für ihre Ruchlosigkeit, gemäß der Ordnung der Zeit» – deute ein Denken vor allen späteren Irrtümern an. [2] Folgerichtig qualifizierte Heidegger den Satz, von dem er nur den zweiten Teil für originär hielt, als «Spruch» und nicht als Fragment, weil «Spruch» einer Fernkommunikation von Seher zu Seher angemessener ist. Es ließe sich also eine Geschichte des Denkens entlang des unterschiedlichen Verknappungsbedarfs der Mit- und Nachdenkenden schreiben.

In einer solchen Geschichte käme Hegel eine prominente Rolle zu, weil sich angesichts seiner schwierigen Texte auf besondere Weise das Bedürfnis meldet, ihn zusammenzufassen. Wie gut, dass er behauptet hat: «Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.»



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