Die Schwestern by Jakob Wassermann

Die Schwestern by Jakob Wassermann

Autor:Jakob Wassermann [Wassermann, Jakob]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-01-15T00:00:00+00:00


* * *

Am Nachmittag des einundzwanzigsten März stand der Soldat Colard am Eck der Rue de l’Ambrague und blies auf der Flöte eine eintönige Melodie, die er von den Schafhirten der Pyrenäen gelernt hatte. Da kam der Krämer Galtier des Weges, blieb stehen, stellte sich als ob er zuhöre, unterbrach aber schließlich den Musikanten und sagte streng: „Was treibst du dich herum und gibst dich unwissend, Colard? Weißt du denn nicht, daß in euerm Haus der Mord geschehen sein soll?“

Colard schob den struppigen Schnurrbart von den Lippen und erwiderte, er und Missonier seien an dem Abend in der Weinwirtschaft bei Rose Feral gewesen, neben dem Bancalschen Haus. „Hätt’ ich Lärm gehört,“ sagte er prahlerisch, „so wär ich gekommen und hätte gerettet, denn ich habe zwei Gewehre, Herr.“

„Wer war denn sonst noch bei Rose Feral?“ forschte der Krämer. Colard dachte nach und nannte Bach und Bousquier, zwei berüchtigte Schmuggler. „Die Strolche, sie mögen sich hüten,“ sagte der Krämer, „und du, Colard, komm’ mit, der arme Fualdes wird begraben, da ist es nicht in der Ordnung, Flöte zu blasen.“

Kaum waren sie auf die Hauptstraße gelangt, wo sich eine zahlreiche Menschenmenge angesammelt hatte, so gestellte sich plötzlich Bousquier zu ihnen, der ein seltsames Betragen zeigte, bald lachte, bald den Kopf schüttelte, bald blöde vor sich hinglotzte. Colard sah ihn scheu von der Seite an, und der Krämer, der an nichts andres dachte als an den Mord und in alledem die Kapriolen des bösen Gewissens zu sehen vermeinte, beobachtete den Mann scharf. Auch die Umstehenden wurden aufmerksam und jedem leuchtete es sogleich ein, daß, wenn irgendwer von dem in Bancals Haus geschehenen Verbrechen wissen könne, dies Bousquier sei. Der aufgeregte Galtier fragte ihn geradezu und mit lauter Stimme. Bousquier war angetrunken, der ungewohnte Menschentumult berauschte ihn noch mehr, er schien verlegen, empfand sich aber zugleich als wichtige Person. Erst tat er so, als wollte er nur ungern herausrücken, dann erzählte er mit feierlicher Umständlichkeit, daß er in der Mordnacht von einem Tabakhändler in blauem Rock gerufen worden sei; dreimal habe der Unbekannte nach ihm geschickt, dann sei er gekommen, habe einen schweren Ballen tragen müssen und sei mit einem Goldstück bezahlt worden.

Schon während des Redens rann der Schrecken über das Gesicht des schwatzhaften Menschen; er wurde sich der Bedeutung seiner Worte langsam bewußt. Die Zuhörer hatten einen dichten Kreis um ihn gebildet, und eine schmetterndschrille Stimme erschallte aus dem Haufen: „Sicherlich hat die Leiche in dem Ballen gesteckt!“

Bousquier schaute beklommen drein. Er mußte immer wieder von neuem anfangen, und die gespannt auf ihn gehefteten Blicke zwangen ihn zur Erfindung neuer kleiner Einzelheiten, wie daß der Tabakshändler plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden sei und daß er eine schwarze Maske vor dem Gesicht gehabt habe. „Wohin hast du denn die Leiche tragen müssen?“ fragte Galtier mit aufeinandergepreßten Zähnen. Bousquier schwieg entsetzt, dann, durch die vielen drohenden Augen eingeschüchtert, erwiderte er leise: „Gegen den Fluß hinaus.“

Zwei Stunden später war er verhaftet und hinter Schloß und Riegel gesetzt. Noch am selben Abend wurde er vor den Untersuchungsrichter, Monsieur



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