Die Schule der Empfindsamkeit by Gustave Flaubert

Die Schule der Empfindsamkeit by Gustave Flaubert

Autor:Gustave Flaubert [Flaubert, Gustave]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historische Erotikliteratur
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


5.

Deslauriers hatte von Frédéric eine Abschrift der Subrogationsurkunde nebst einer wohl formulierten Vollmacht mitgenommen, die ihm freies Verfügungsrecht zuerkannte; doch als er seine fünf Stockwerke erstiegen hatte und in seiner trübseligen Kammer allein in seinem Ledersessel saß, widerte ihn der Anblick der gestempelten Formulare an.

Er war seiner ganzen Umgebung, der Restaurants zu zweiunddreißig Sous, der Fahrten im Omnibus, seiner Armut, seiner Mühen überdrüssig. Er nahm die Papiere nochmals vor, andere lagen dabei; es waren die Prospekte der Kohlengruben-Gesellschaft mit der Liste der Minen und den Einzelheiten ihres Gehaltes, die Frédéric ihm überlassen hatte, um seine Ansicht darüber zu hören.

Ihm kam eine Idee: sich bei Monsieur Dambreuse vorzustellen und um die Stelle des Sekretärs zu bitten. Sicherlich war diese Stellung nicht ohne Ankauf einer gewissen Anzahl von Aktien zu haben. Er erkannte die Torheit seines Vorhabens und sagte sich:

»Nein, nein! das wäre gemein!«

Dann dachte er darüber nach, wie die fünfzehntausend Francs wiederzuerlangen wären. Eine solche Summe galt Frédéric nichts! Aber wenn er sie gehabt hätte, welch ein Hebel wäre das für ihn! Und der ehemalige Schreiber war empört darüber, daß das Vermögen des andern so groß war.

»Er macht einen erbärmlichen Gebrauch davon. Er ist ein Egoist. O, mir liegt nichts an seinen fünfzehntausend Francs!«

Warum hatte er sie verliehen? Wegen der schönen Augen von Madame Arnoux. Sie war seine Geliebte! Deslauriers zweifelte nicht daran. »Das sind auch Dinge, zu denen man das Geld braucht!« Gehässige Gedanken stiegen in ihm auf.

Er dachte an Frédérics Persönlichkeit. Sie hatte immer einen fast weiblichen Reiz auf ihn ausgeübt; und schließlich mußte er ihn wegen eines Erfolges bewundern, dessen er sich nicht fähig fühlte.

Aber ist der Wille nicht das Hauptelement aller Unternehmungen? und da man mit ihm über alles triumphiert ...

»Ah! das wäre spaßhaft!«

Doch er schämte sich dieser Hinterlist, und eine Minute später sagte er sich:

»Ach was, fürchte ich mich denn?«

Er stellte sich Madame Arnoux, von der er so viel hatte reden hören, als etwas Außerordentliches vor. Die Beständigkeit dieser Liebe reizte ihn wie ein Problem. Seine ein wenig theatralische Strenge ärgerte ihn jetzt. Überdies blendete die Frau von Welt (oder was er darunter verstand) den Advokaten als das Symbol und der Inbegriff von tausend ungekannten Freuden. Da er arm war, gelüstete es ihn nach Luxus in seiner äußersten Form.

»Übrigens, falls er sich ärgert, ist das seine Sache! Er hat sich zu schlecht gegen mich benommen, als daß ich mich zu genieren brauchte! Nichts gibt mir die Sicherheit, daß sie seine Geliebte ist! Er hat es geleugnet, also bin ich frei!«

Der Wunsch, sein Vorhaben auszuführen, verließ ihn nicht mehr. Er wollte damit einen Beweis seiner Kraft geben; – darum putzte er plötzlich eines Tages seine Stiefel, kaufte weiße Handschuhe und machte sich auf den Weg, indem er sich an Frédérics Stelle versetzte und sich durch eine gewaltsame Begriffsübertragung, die gemischt war aus Rache und Sympathie, Nachahmung und Kühnheit, fast einbildete, dieser zu sein.

Er ließ sich als »Doktor Deslauriers« melden. Madame Arnoux war erstaunt, da sie keinen Arzt hatte rufen lassen.

»O! Bitte tausendmal um Vergebung! ich bin Doktor der Rechte.



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