Die Schiller-Strategie by Eva Wodarz-Eichner & Karsten Eichner

Die Schiller-Strategie by Eva Wodarz-Eichner & Karsten Eichner

Autor:Eva Wodarz-Eichner & Karsten Eichner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Allgemeine Buch
veröffentlicht: 2015-09-23T00:00:00+00:00


16 MEISTERE DIE MIDLIFE-CRISIS

„Sei eingedenk, dass alle Güter der Erde

von der Arbeit stammen,

wer sie genießt, ohne zu arbeiten,

der stiehlt dem Arbeitenden sein Brot.“

Lebensregeln

Karlsbad, 3. September 1786: Eine dunkle Gestalt kommt leise aus dem Palais. Den schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen, den schwarzen Mantel eng um den untersetzten Körper geschlungen, scheint der Mann fast mit der mondlosen Nacht zu verschmelzen. Vorsichtig biegt er um ein paar Straßenecken der nächtlichen Stadt, ängstlich darauf bedacht, von niemandem gesehen oder gar erkannt zu werden. Es wäre doch ein Skandal, wenn irgendjemand den Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe dabei überraschte, wie er sich davonschleicht wie ein Dieb – davonschleicht aus seinem ihm immer unerträglicher gewordenen Leben zwischen Hofdienst, Dichtung und Frauen.

Denn seine Aufgaben als „Geheimer Rat“ bestehen vor allem aus Bergbau, Soldatenrekrutierung und Transportwesen – alles nicht das, was ihn wirklich ausfüllen würde. Umso schlimmer, dass ihm dadurch die Zeit zum Schreiben fehlt. Er arbeitet an mehreren Stücken gleichzeitig, aber richtig voran geht es mit keinem von ihnen. Kann er, der gefeierte Dichterfürst Goethe, etwa nicht mehr schreiben? Ist er zu aufgezehrt vom Alltag, als dass er noch seine Gedanken zu Papier bringen könnte? Und Charlotte – zu lange schon währt ihr mehr oder weniger heimliches Liebesverhältnis, als dass es ihn noch inspirieren könnte …

Er will fort, nichts als fort. Italien, das Land der Sehnsucht, ist sein Ziel. Ohne Abschied von seinen Freunden will er abreisen, sogar ohne Abschied von seinem Herzog. Er würde ihn schon verstehen. Würde verstehen, dass er – Goethe – an einem Wendepunkt in seinem Leben steht. Dass er etwas anderes sehen, etwas anderes ausprobieren muss. Die Kunst der Malerei beispielsweise – vielleicht ist er ja ein besserer Maler als ein Dichter? Und wo würde man das besser herausfinden können als im Mutterland der Künste, in der Heimat Tizians, Raffaels und Michelangelos?

Ah – da wartet die Kutsche schon! Wie vereinbart, längst mit seinem Gepäck beladen. Auf seinen Diener ist eben Verlass … Die Aussicht auf das Abenteuer, auf das er sich einlässt, verleiht dem untersetzten Geheimrat Flügel. Leichtfüßig springt er in die Kutsche, die sich rumpelnd in Bewegung setzt. Richtung Italien, einem neuen Leben entgegen.



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