Die Schärenärztin by Pia Engström

Autor:Pia Engström [Engström, Pia]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: MIRA Taschenbuch
veröffentlicht: 2015-06-09T16:00:00+00:00

9. KAPITEL

Ihren Vater traf Hanna etwas später in der heimischen Küche an. Wie so oft saß er am Tisch, hatte das verletzte Bein hochgelegt und hielt den Kopf gesenkt. Fast sah es aus, als ob er schliefe, nur seine geöffneten Augen verrieten, dass er wach war.

Jedes Mal, wenn Hanna ihn so sah, geriet sie ins Grübeln. Seit ihrer Ankunft auf Vaxholm hatte sie das Gefühl, dass er nicht mehr derselbe war. Kaum noch etwas erinnerte an den früher so energiegeladenen Schärenarzt, der genau wusste, was er wollte, und der für seine Arbeit alles getan hätte. Ganz egal, was früher geschehen war, immer hatte er einen Weg gefunden, sich trotz allem um seine Patienten zu kümmern.

Er hatte so sehr für seine Arbeit gelebt, dass Hanna nicht selten eifersüchtig gewesen war und geglaubt hatte, seine Patienten interessierten ihn mehr als seine Familie.

Doch wie hatte er sich jetzt verändert! Es schien fast so, als hätte er überhaupt keine Energie mehr, um sich um seine Arbeit zu kümmern. Dass er Hanna nicht einmal bei ihren täglichen Patientenbesuchen begleiten wollte, konnte doch nicht nur an seinem verletzten Bein und daran liegen, dass er sich matt fühlte. Da steckte mehr dahinter. Doch was konnte das sein? Es irritierte Hanna, dass er ihr die ganze Verantwortung übergeben hatte – da er doch praktisch mit keiner ihrer bisherigen Entscheidungen im Leben einverstanden gewesen war.

Er blickte auf, als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. „Lisbet will sich im Krankenhaus untersuchen und dann sicher auch behandeln lassen“, verkündete sie die frohe Botschaft. „Und das so schnell wie möglich.“ Einen Augenblick schien es Dr. Winterberg die Sprache verschlagen zu haben. Er sah seine Tochter an, und in seinem Blick lag ein Ausdruck grenzenloser Erleichterung. Sogar ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen – eine wahre Seltenheit bei ihm, zumindest in der letzten Zeit. „Ist das wahr?“, fragte er leicht ungläubig nach. „Du hast es wirklich geschafft, sie umzustimmen?“

„Na ja, nicht ich allein. Ich habe dir doch erzählt, dass mich Lennart Eckström unterstützt hat. Und letztendlich war er es auch, der Lisbet überzeugt hat, nicht ich. Es ist wirklich so, dass er sie an ihren verstorbenen Sohn erinnert und dass sie sich wegen des tragischen Verlusts von damals nicht behandeln lassen wollte.“ Sie seufzte. „Aber jetzt scheint alles gut zu werden. Zumindest wird sie sich untersuchen lassen, und dann sehen wir weiter. Aber wie gesagt, es ist nicht mein Verdienst.“

„Doch, das ist es“, widersprach Dr. Winterberg seiner Tochter entschieden. „Es mag sein, dass dieser Lennart dir geholfen hat, wofür ihm auch Anerkennung und Dank gebührt. Aber du hast von Anfang an Einfühlungsvermögen und den richtigen Instinkt bewiesen, während ich …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich war zu verbohrt. Ich habe Lisbet nicht wirklich verstanden, war ungeduldig und manchmal auch zu grob zu ihr. Habe ihr Vorwürfe gemacht, weil sie sich einfach nicht behandeln lassen wollte und …“ Er winkte ab. „Genug davon. Ich … ich würde jetzt gern noch etwas allein sein. Und du solltest schlafen gehen. Immerhin hast du einen anstrengenden Tag hinter dir.

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