Die Potsdamerin by Hugo Hartung

Die Potsdamerin by Hugo Hartung

Autor:Hugo Hartung [Hartung, Hugo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 3795195055
Herausgeber: Schneekluth
veröffentlicht: 1981-12-31T23:00:00+00:00


Die alte Frau aus Schlesien brachte auch in die kleine Tafelrunde ein wenig Munterkeit. Sonst hätte wohl das ganze eher einem Leichenschmaus geglichen. »Wann haben Sie das letztemal von Ihrem – von Barbaras Vater gehört?« fragte der Geistliche die junge Mutter, die neben ihm saß. »Fünf Tage nach der Nachricht über Jürgen kam ein Brief von ihm. Sie können sich denken, wie ich mich gefreut habe – zumal er noch aus Sizilien kam. Es hieß zwar: ›Wir werden wohl demnächst verlegt!‹, aber ich dachte: Wenigstens ist er nicht gleich in Rußland mit eingesetzt worden. Ich hoffte, er käme mit seiner Staffel nach Afrika. Dorthin hatten sie ja auch schon von Sizilien aus ihre Einsätze geflogen.«

»Wir haben alle nicht auf das Datum des Briefes geachtet«, sagte ihr Vater über den Tisch herüber. »Er war über sechs Wochen alt. Irgendwo war er wohl hängengeblieben oder in eine lange Postsperre geraten.«

»Und jetzt wissen Sie nichts?«

»Gar nichts.«

»Auch seine Familie ist ohne Nachricht?« fragte der Pfarrer mit halb beruflicher Teilnahme weiter.

»Nein, auch sie wissen nichts«, antwortete Elisabeth von Kemnath rasch, während ihre Mutter sie mit funkelnden Augen beobachtete.

Der mecklenburgische Gutsverwalter Lostau hatte weder auf die Nachricht von der Geburt seines Enkelkindes noch auf die Einladung zur Taufe geantwortet. Das war das Kränkendste, was Frau von Kemnath überhaupt geschehen konnte. Offenbar hielt er ihre Tochter für ein schlampiges Verhältnis seines Dieter, was man wohl einem Sohn, aber nie einem Mädchen verzeihen konnte.

Professor Müller-Wunsdorf, der die aufkommende Spannung bemerkte, klingelte mit dem Messer an sein Glas und sprach einige Worte, die an sich dem Pastor zugestanden hätten.

Aber Heimdörffer war nicht hellhörig und schlagfertig genug, und von den leidigen Problemen dieses Hauses wußte er über die ihm bekannten hinaus nichts.

»Liebes Ilschen«, begann der Professor, »ich hab’ mir das Vorrecht dieser Anrede schon in ganz frühen Jahren – den Ihren, nicht den meinen – erworben und will darauf später noch gesondert zurückkommen. Es ist kein ganz fröhliches Fest, das wir heute hier feiern. Es fehlen zu viele, die wir gern unter uns gehabt hätten. Von zweien hoffen wir, daß sie eines Tages wieder unter uns sein werden – und der eine, der dritte, ist auch unter uns. Sonst hätte all das, was wir vorhin in der Kirche vollzogen und bekannt haben, keinen Sinn. Sie alle nehmen teil an dieser Stunde. Das ist kein bloßes Trostsprüchlein, und auch der Herr Pfarrer würde wohl keinen wirklichen Trost an offenen Gräbern spenden können, wenn er nicht an das glaubte, was er sagte. Sie, Heimdörffer, und ich, wir haben ja nun einmal ein besonderes Verhältnis zu Leben und Tod und machen uns wohl auch die meisten Gedanken über das, was danach kommt – nach dem Leben. Ich in meinem sonderbaren Beruf hab’ euch Pastoren aber noch eins voraus: ich muß mir Gedanken machen über das, was vorher kommt. Und darum dürft ihr Geistlichen uns ehrlich beneiden. Das ist nämlich was Wunderbares. Wenn man der kleinen Barbara da draußen in diese merkwürdige und jetzt so ungute, düstere Welt hat helfen dürfen – das ist schon eine gewaltige Sache, auf die man Rechtens ein bißchen stolz sein kann.



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