Die Mechanismen der Skandalisierung: Warum man den Medien gerade dann nicht vertrauen kann, wenn es darauf ankommt by Hans Mathias Kepplinger

Die Mechanismen der Skandalisierung: Warum man den Medien gerade dann nicht vertrauen kann, wenn es darauf ankommt by Hans Mathias Kepplinger

Autor:Hans Mathias Kepplinger
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
Tags: Media Studies, Social Science, General
ISBN: 9783957681980
Herausgeber: Olzog
veröffentlicht: 2017-12-01T23:00:00+00:00


1 Vgl. Kulke, Ulli: Allein unter Klimakämpfern.

2 Vgl. Stahnke, Jochen / Wyssuawa, Mattjias: Klima-Gate; Bojanowski, Axel: Heißer Krieg ums Klima; Müller-Junk, Joachim: Schludrig, aber wahr; Wieland, Leo: UN: Den Klimawandel zu leugnen ist kriminell.

11. Täter und Opfer

Die meisten skandalisierten Personen und Organisationen haben tatsächlich die Regeln verletzt und die Missstände verursacht, die ihnen vorgeworfen werden. Zwar kommt es vor, dass jemand aufgrund völlig falscher Vorwürfe angeprangert wird – die Skandalisierung von General Kießling durch erfundene Behauptungen über dessen Sexualleben ist ein Beispiel1 – das sind jedoch seltene Ausnahmen. Die meisten Skandalisierten haben die Fehler, für die sie kritisiert werden, begangen und sie bestreiten das nach einiger Zeit auch meist nicht mehr. Zudem akzeptieren dann viele die öffentliche Kritik an ihrem Verhalten. Trotzdem fühlen sich fast alle als Opfer des Geschehens und der Medien.2 Edathy erklärte einige Wochen vor seinem Freispruch an einem geheimen Ort gegenüber dem Spiegel (17.03.2014), er fände die »Hysterie in der Debatte« um ihn »verstörend«. Es werde ja »offenkundig sogar von Teilen der Medien als anstößig betrachtet, wenn man nur auf seine Rechte hinweist«. Er weigere sich »einen öffentlichen Kotau zu machen. Medial und sozial gefoltert zu werden und dann auf der öffentlichen Streckbank ein mea culpa zu raunen – das scheint man von mir zu erwarten, aber das werde ich nicht tun«. Härtel bezeichnete sich als Opfer einer »öffentlich betriebenen politischen Menschenjagd«, die das Ziel gehabt habe, sie zu stigmatisieren. Sie hatte einen Kreislaufkollaps und litt nach Aussagen eines psychiatrischen Gutachtens unter Depressionen. Cohn-Bendit fühlte sich als Opfer einer »Menschenjagd« (FAZ, 27.02.2000), als er in Frankreich wegen der Schilderung seiner Erlebnisse in einem Frankfurter »Kinderladen« in seinem Buch »Le Grand Bazar« des Missbrauchs von Kindern verdächtigt worden war.

Viele Skandalisierten fühlen sich auch deshalb als Opfer der Medien, weil ihre Anprangerung Reaktionen des Publikums auslöst, die weit über das hinausgehen, was die Verfasser der Beiträge beabsichtigt oder in Rechnung gestellt haben. Kohl wurde in Berlin bei der Signierung seines »Tagebuchs« mit einem Windbeutel beworfen. Auf der Website der Stadt Sebnitz fanden sich die Aufrufe »Gebt allen Ossis eine Spritze mit dem Aids-Virus« und »Tod allen Nazis. Tod Bürgermeister Ruckh« (FR, 30.11.2000). Während der Skandalisierung der Oberbürgermeisterin von Hanau fanden sich im Gästebuch des Internetauftritts der Stadt Aufforderungen an Härtel zum Selbstmord (FAZ, 15.01.2004), und während der Skandalisierung von Möllemann wegen der Aufnahme des Abgeordneten Karsli in die FDP inszenierte der Regisseur Christoph Schlingensief vor Möllemanns Unternehmenssitz in Düsseldorf das Stück »Tötet Möllemann!« (Welt am Sonntag, 22.06.2003).

Ein extremes aber illustratives Beispiel für den Einfluss skandalträchtiger Schemata auf die Wahrnehmung, deren Einfluss auf die Berichterstattung und deren verheerende Folgen ist der Fall des Bestseller-Autors Akif Pirinçci. Pirinçci hatte am 19. Oktober 2015 bei einer Pegida-Kundgebung in Dresden über den Umgang der Politik mit Gegnern der deutschen Flüchtlingspolitik gesagt: »Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.



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