Die Liebe neu erfinden by Schmid Wilhelm

Die Liebe neu erfinden by Schmid Wilhelm

Autor:Schmid, Wilhelm [Schmid, Wilhelm]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-06-07T16:00:00+00:00


Die Schönheit der Liebe und der Liebenden:

Bejahen und Bejahtwerden

Als schön kann gelten, was oder wer bejahenswert erscheint. Bejahenswert erscheint etwas oder jemand in einer Besonderheit, die keiner Vollkommenheit bedarf. Die jeweils aktuellen Kriterien der Schönheit in einer Kultur nehmen auf die Bewertung Einfluss, aber die letzte Instanz ist das Individuum selbst: Was mir schön erscheint, ist jedenfalls in meinen Augen »attraktiv«, es zieht mich an und ist mir nicht mehr »egal«, kein Fall von Gleichgültigkeit mehr, und zugleich ist es »nichts, wovon man jemals jemand anders überzeugen kann« (Alain de Botton, Versuch über die Liebe, 1994, 120). Seinen Reiz bezieht das Schöne aus den enormen Energien, die es offenkundig freisetzt: Sie steigern die Intensität des Lebens, und sie entstammen entweder dem Schönen selbst oder dem Menschen, der das Schöne bewundert, wenn nicht noch einer anderen, unbestimmten Dimension, die die Energien vorhält. Nach diesen Energien fahnden Menschen, und sie werden fündig, wenn sie die Schönheit eines Anderen entdecken, ja, geradezu die Inkarnation der Schönheit in ihm sehen und sich unversehens zu ihm hingezogen fühlen. Ist die Anziehung wechselseitig, kann eine Beziehung entstehen, in der die Erfahrung des Schönen zur Quelle der Liebe wird. In vierfacher Hinsicht sind Schönheit und Liebe untrennbar miteinander verknüpft.

1. Schönheit macht Liebe. Wenn gefragt wird, wie Liebe entsteht, dann ist die Antwort klar: Den Anfang macht die Schönheit. Es ist die Wahrnehmung von Schönheit, die die Entstehung von Liebe zwar nicht erzwingen, die Wahrscheinlichkeit dafür aber entschieden erhöhen kann. In den verschiedensten Kulturen wird daher der oder die potenzielle Geliebte mit Mitteln der Schönheit umworben und verführt: Bereits auf körperlicher Ebene kann das, was schön erscheint, Menschen ansprechen und zum Grund für ihre Zuwendung und Zuneigung werden. Außer Blick gerät dabei vielleicht, worauf Platon schon drängte: Weniger auf die äußerliche, sinnliche, mehr auf die innerliche, seelische und geistige Schönheit zu achten, da bejahenswerte Gefühle, Charaktereigenschaften und Gedanken eine dauerhaftere Liebe wachrufen können als die sinnlichen Reize. In jedem Fall kann zu dem Menschen, der als schön wahrgenommen wird, eine Bindung eingegangen werden, unabhängig davon, ob seine Schönheit offen zutage liegt und auch von Anderen wahrgenommen wird, oder verborgen bleibt und sich nicht jedem erschließt.

Die Schönheit kann naturgegeben, kulturell beeinflusst, aber auch individuell bearbeitet sein: Eine Arbeit an ihr ist möglich, sinnlich, seelisch und geistig. Mit seiner Arbeit an der Schönheit zielt ein Mensch auf die äußerliche und vielleicht innerliche Veränderung seiner selbst, auch auf die Veränderung seiner Lebensverhältnisse, damit Bejahenswertes und Liebenswertes in den Augen eines Anderen entstehen kann, ganz nach Ovid: »Damit du geliebt wirst, musst du liebenswürdig sein« (ut ameris, amabilis esto; Ars amatoria, II, 107). Wo noch keine Liebe ist, kann diese Arbeit sie zum Leben erwecken, eine Beziehung begründen und sie so gestalten, dass sie bejahenswert erscheint. Wenn Shakespeare in Hamlet seinen Protagonisten von der »höchst verschönten« (most beautified, Akt 2, Szene 2) Ophelia sprechen lässt, muss irgendjemand auf irgendwelche Weise an dieser Schönheit gearbeitet haben: Hat sie sich selbst verschönert oder gar geschönt, körperlich, seelisch oder geistig? Ist sie von jemandem verschönert



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