Die Liebe eines Meisters by John Preston

Die Liebe eines Meisters by John Preston

Autor:John Preston
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-05T00:00:00+00:00


REALITÄT

Wir sahen Marc während der nächsten drei Monate nicht wieder.

Ich hatte ihn nicht vergessen – ganz im Gegenteil –, aber es war so viel Zeit vergangen, dass ich nicht mehr damit rechnete, dass er wieder auftaucht.

Der Sommer war vorüber. Frühzeitiger Frost hatte angefangen, die Farben der Blätter und Bäume zu verändern. An den Abenden wurde es deutlich kühler. Ich saß auf der Veranda des Hauses und genoss das abklingende Sonnenlicht, während der Tag zu Ende ging, als Marc vorfuhr. Er hielt an und stieg aus dem Auto. Er beugte sich über das Dach des Wagens und schien darauf zu warten, dass ich etwas sage. Weder begrüßte ich ihn, noch gab ich ihm irgendeinen Anlass zu glauben, dass mir sein Kommen missfiel.

Er kam die Treppen zur Veranda hinauf und setzte sich neben mich. Es war offensichtlich ein schwieriger Moment, und es schien, als könnte er mir nicht in die Augen sehen. Schließlich sagte ich: 'Es ist schon etwas her, seit du das letzte Mal vorbeigeschaut hast.'

'Ich hatte viel zu tun', antwortete er. Er blickte auf seine Hände hinab, die zwischen seinen Beinen baumelten.

'Uni?'

'Nein. Nein.' Er sprach mit gedämpfter Stimme, die eher einen Ton der Niederlage in sich trug als irgendetwas anderes. Aber er seufzte und schien sich entschieden zu haben, das Gespräch fortzusetzen. 'Ich bin niemals hingegangen. Ich kam gar nicht dort an.'

'Was hast du dann getan?'

'Ich bin weggelaufen.'

Ich atmete kurz ein. Er wäre nicht zu meinem Haus gekommen, wenn sich nicht irgendetwas für ihn geklärt hätte, und dies war für mich das erste Anzeichen, dass es sich dabei vielleicht um das handelte, worauf ich hoffte.

'Weggelaufen?' Ich wollte ihm in unserer Unterhaltung so viel Bewegungsfreiraum geben, wie er benötigte.

'Ja, weggelaufen. Vor dir. Vor Tim. Vor allem. Ich hätte fast geheiratet.' Er sagte das ganz plötzlich und setzte sich in einer herausfordernden Pose auf, so als ob er dachte, dass ich ihm einen Schlag versetzen würde.

'Aber du hast es nicht getan.'

'Nein. Ich konnte nicht. Ich war kurz davor. Da war dieses Mädchen, und sie wollte es wirklich von ganzem Herzen. Es schien mir ein guter Weg, mit den Dingen umzugehen. Ich machte den ganzen schwulen Kram verantwortlich für den Ärger, den ich hatte. Aber ich hörte immer wieder Tims Stimme, die mir etwas über ›Ehrlichkeit‹ erzählte, und ich konnte es nicht zu Ende bringen. Ich konnte vieles nicht zu Ende bringen – auf die Uni kam ich nicht, ich habe die Anmeldefrist ›aus Versehen mit Absicht‹ verpasst – du weißt schon, was ich meine. Ich hatte immer wieder Auseinandersetzungen auf der Arbeit und hab schließlich gekündigt. Ich wollte nach Boston ziehen, aber ich konnte nie einen passenden Grund finden, warum ich das tun sollte, außer um hier wegzukommen. Das war alles. Ich bin weggelaufen. Einfach nur weggelaufen.'

Er konnte nicht weitersprechen, und ich bohrte nicht nach. 'Ist er immer noch da? Tim, ich meine, ist er immer noch bei dir?'

'Ja.' Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Nicht wegen Marc. Ich lächelte über das Vergnügen, das ich in den letzten drei Monaten mit Tim gehabt hatte.



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