Die Lehren der Philosophie by Hampe Michael

Die Lehren der Philosophie by Hampe Michael

Autor:Hampe, Michael [Hampe, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2014-12-27T16:00:00+00:00


Die Wirklichkeit der einzelnen und das Glück

Damit sind wir bei der Frage angekommen, wie man sich die Menschen – genauer: die in einer Gemeinschaft ohne Transzendenz lebenden freien Menschen – eigentlich vorzustellen habe. Was heißt es, daß sie fähig sind, sich selbst Gedanken zu machen, über semiotische Autonomie verfügen? Ist, angesichts des Stichworts Inquiry, diese Gemeinschaft, so hatten wir gefragt, eine der Wissenschaftler und Künstler? Sicher ist es keine der heutigen Wissenschaftler und Künstler, sofern diese ja ebenfalls in einem Markt leben und einer Konkurrenz unterliegen: der des Bildungs- oder des Kunstmarktes und entsprechend Maßstäben des Erfolgs unterworfen sind, die sich nicht aus ihrer eigenen Kreativität ergeben.

»Freiheit«, schreibt Dewey,16 »ist die gesicherte Einbindung und Erfüllung persönlicher Potenzen, welche sich nur in einer 282reichen und mannigfaltigen Assoziation mit anderen ereignen: das Vermögen, ein individualisiertes Selbst zu sein, das einen spezifischen Beitrag leistet und sich auf seine Weise an den Früchten der Assoziation erfreut.« Die Gemeinschaft wird als der Zusammenschluß von Menschen gedacht, in dem ohne Vorbehalte und religiöse Tabus gemeinsam nach Werten und Zielen gesucht werden kann. Einerseits sind für diese Suche alle auf die Mannigfaltigkeit der individuellen Fähigkeiten angewiesen. Die Gemeinschaft braucht die Verschiedenheiten ihrer Mitglieder, um etwas erreichen zu können, was kein Einzelwesen für sich erreichen kann. Andererseits wird jedes Einzelwesen in seiner Differenz zu den anderen erst wirklich, wenn es sich in seinen spezifischen Fähigkeiten in der Gemeinschaft wirksam werden sieht. Als Einzelwesen für sich selbst und andere wirklich zu werden und auf dieser Grundlage ein Leben zu führen, das man, soweit das im menschlichen Rahmen möglich ist, durch die eigenen Reaktionen auf die Welt gestaltet, ist jedoch eine Form des Glücks. Freiheit und Glück sind in diesem Sinne keine »Ausbildungsziele«. Sie müssen nicht erreicht werden, weil freie und glückliche Menschen mehr leisten können und deshalb besser in der Reichtumsvermehrung sind. Es geht Dewey vielmehr darum, daß Menschen befähigt werden sollen, ihre eigenen sozialen und Lebensmuster zu bilden, die ihnen nicht von anderen, beispielsweise wegen vermeintlicher »Sachzwänge«, vorgeschrieben werden. Es ist das antike Ideal der autarkeia, das sowohl für die Einzelwesen wie für die Gemeinschaft wiederbelebt wird. Eine einzelne Person und eine Gemeinschaft in existentieller Not, wo zu wenig zu essen da ist und Feinde drohen, ist nicht autark; eine einzelne Person oder eine Gemeinschaft, die von Despoten beherrscht wird, ebenfalls nicht. Wo Not und Unfreiheit herrschen, kann sich weder für die einzelnen noch für die Gemeinschaften ein freier Lebensrhythmus ergeben. Glück besteht aber darin, einen solchen Rhythmus, ein Muster des Lebens, das man unbegrenzt fortsetzen möchte, gefunden zu haben. Wo keine Suchbewegungen nach einem solchen Rhythmus einsetzen können, weil ständig Nöte bewältigt und Bedrohun283gen beseitigt werden müssen, mag das Leben zwar eine gewisse Intensität und als Anstrengung des Überlebens auch einen Sinn haben. Man wird es jedoch kaum ein schönes oder glückliches Leben nennen wollen. In der Rede des Perikles für die Gefallenen von Athen hebt Thukydides diese Aspekte hervor. Die Verfassung von Athen sei keine Kopie irgendeiner anderen, sondern selbst gewählt und eher Vorbild anderer Gemeinschaften.



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