Die Insel der Witwen by Dagmar Fohl

Die Insel der Witwen by Dagmar Fohl

Autor:Dagmar Fohl
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Historischer Roman
ISBN: 9783839235027
Herausgeber: Gmeiner Verlag
veröffentlicht: 2011-08-31T13:34:47+00:00


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Keike humpelte keuchend durch die Dünen. Sie sah seine zornigen Augen vor sich, wie Flammenpfeile. Sie lief, kam nicht voran, zog den linken Stiefel aus und warf ihn in den Sand. Lief auf Strümpfen weiter, so schnell sie konnte. Der Nebel war immer noch dicht. Er schützte sie.

Sie blieb stehen. Sie hatte Seitenstiche. Ihr Herz pochte schnell und laut, wilder als der Wind und die Wellen. Sie blickte in die Nebelwand. Süße Träume stiegen im Dunst auf. Eine Hitzewelle überzog ihren Leib. Sie dachte an Meerjungfrauen, die mit den Seemännern in den Wellen spielten. Wo sie schwammen, sprühten rotgoldene Funken. Die Träume umspannen sie, sie konnte sie nicht verscheuchen. Sie spürte seine Hände, seinen Körper, seinen Atem, der über ihre erhitzten Wangen hauchte wie der Duft von frischfeuchtem Dünensand im Frühling. Sie lief weiter durch den Traumnebel, tanzte mit ihm in den Wellen.

Plötzlich wurde sie aus ihrer Fantasie gerissen. Eine große schwarze Masse lag im Sand. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Ein Mensch, ein Tier, ein Gegenstand? Sie wagte nicht, näher heranzugehen, spähte angestrengt durch den Dunst. Eine Nebelschwade lichtete sich. Es war ein Seehund. Er schien zu schlafen. Keike wartete. Er witterte sie nicht. Sie legte sich flach auf den Boden, kroch voran, die Arme und Beine eng an den Körper gepresst. Sie zog ihr Messer, beugte sich über seinen Leib, stach blitzschnell zu. Das Tier kreischte. Sie zog das Messer wieder heraus. Wollte nochmals zustechen. Es wand sich und schnappte nach ihr. Das Messer fiel ihr aus der Hand. Sie warf sich auf seinen Rücken. Der Seehund wollte sie abschütteln, aber sie umklammerte ihn, versuchte ihn zu erwürgen. Es gelang nicht. Er robbte zum Meer, sie krallte sich auf seinem Rücken fest. Nicht loslassen, bloß nicht loslassen. Ein Stein, sie brauchte einen Stein. Das Tier erreichte das Wasser. Keike schlug mit der Faust auf seinen Kopf. Der Seehund brüllte. Er wälzte sich hin und her. Sie rutschte ab. Das Tier tauchte im Meer unter.

Keike lag im Wasser. Ihre Wunde blutete. Über ihr ertönte der scharfe Schrei einer Möwe. Die süßen Träume waren verflogen. Die Wellen brachen sich über der Wahrheit.



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