Die Gegenpäpstin by Martina André

Die Gegenpäpstin by Martina André

Autor:Martina André [André, Martina]
Die sprache: eng
Format: epub
ISBN: 9783746623238
Herausgeber: Aufbau Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2007-04-14T22:00:00+00:00


28.

62 n. Chr. – Tod und Teufel

Rasch hatte sich die Ankunft der Männer unter der Christengemeinde von Jeruschalajim herumgesprochen. Am Abend traf man sich im großzügigen Obersaal eines prunkvollen Hauses, das in unmittelbarer Nähe zum Tempelbezirk lag und einem reichen Stoffhändler gehörte, der vor Jahren den christlichen Juden um Jaakov beigetreten war. Das Haus ersetzte an manchen Tagen die Synagoge und machte es möglich, daß auch noch nicht getaufte Anwärter an Versammlungen teilnehmen konnten, ohne gegen mosaische Gesetze zu verstoßen.

Nahezu einhundert Anhänger Jeschuas, Männer, Frauen und Kinder, eilig herbeigerufen aus der Umgebung der Stadt, bevölkerten den Raum. Man wollte zusammen das Brot brechen und den Weinkelch zur Erinnerung an Jeschuas Heilsverkündigung kreisen lassen, obwohl sich aus Gründen der Sparsamkeit und zum Ärger von Paulus nur gereinigtes Wasser darin befand.

Jaakov las aus der Thora vor, und selbst die Kleinsten hockten still auf dem Schoß ihrer Eltern, als er anschließend seine sonore Stimme zum Gebet erhob.

Plötzlich brachen die großen Flügeltüren auf, und sechs martialisch gerüstete Wächter des Tempels marschierten herein, stellten sich in furchteinflößendem Spalier zu den Gläubigen auf und wandten ihre Häupter in einer zackigen Geste dem weit geöffneten Eingang zu.

Jaakov hatte wie alle Anwesenden erschrocken innegehalten, und nun mußte er hinnehmen, daß Hannas ben Hannas, seines Zeichens Hohepriester und Hausherr des Tempelbezirks, auf ihn zurauschte wie ein Orkan. Das wehende Gewand ganz in Weiß mit goldener Borte besetzt, dazu ein farbiges Brustschild mit Edelsteinen verziert, trug er einen prächtigen Hut, der aus jedem Gnom einen Riesen gemacht hätte. Seine dunklen, buschigen Augenbrauen verrieten nichts Gutes, und seine nach unten gezogenen Mundwinkel ließen die stark gebogene Nase, die sein fliehendes Kinn überragte, noch länger erscheinen. Zehn Fuß vor Jaakov, der auf seinem Schemel saß und wie versteinert die Thorarolle in der Hand hielt, machte der Hohepriester abrupt halt, und nach einem Fingerschnippen traten zwei seiner Schergen hervor und entrollten dicht vor ihm eine Papyrusrolle.

»Jaakov ben Josef«, begann Hannas II. krächzend, wobei er vergeblich versuchte, seiner Stimme einen feierlichen Klang zu verleihen. »Du bist angeklagt, gegen die heiligen Gesetze verstoßen zu haben, indem du die Regeln des Shabbats mißachtet hast, und darüber hinaus wirst du verdächtigt, Unzucht mit der Frau deines Bruders Jeschua getrieben zu haben.«

Ein Raunen ging durch die Menge. Jeder wußte, daß Mirjam die einzige noch lebende Schwägerin des Jaakovs war; man vermutete aber allgemein, daß sie sich im fernen Antichochien in Sicherheit befand.

»Mein Bruder ist tot«, verteidigte Jaakov sich selbst, und dabei war ihm klar, daß jeglicher Widerstand eine Bestätigung der Anklage mit sich bringen konnte. »Gerichtet und gekreuzigt durch das Urteil deines Vaters, Hannas I.«, fuhr er scheinbar gleichmütig fort. »Und damit ist Jeschuas Ehefrau eine Witwe.«

»Wenn man eurer Lehre glauben darf«, erklärte Hannas II. in scharfem Ton, »ist dein Bruder längst wieder auferstanden und weilt somit noch unter den Lebenden. Also ist es fraglos eine Sünde, wenn du Mirjam von Taricheae bei dir aufnimmst, sie beherbergst und das Bett mit ihr teilst.«

Jaakov schaute Paulus an, der kaum merklich den Kopf schüttelte, was soviel zu bedeuten hatte, daß er die Anwesenheit Mirjams in Jaakovs Hütte nicht verraten hatte.



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