Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft by Friedrich Engels
Autor:Friedrich Engels [Engels, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00
III
Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daà die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daà in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ãkonomie der betreffenden Epoche. Die erwachende Einsicht, daà die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, daà Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, daà in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Veränderungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt. Damit ist zu gleich gesagt, daà die Mittel zur Beseitigung der entdeckten MiÃstände ebenfalls in den veränderten Produktionsverhältnissen selbst â mehr oder minder entwickelt â vorhanden sein müssen. Diese Mittel sind nicht etwa aus dem Kopfe zu erfinden, sondern vermittelst des Kopfes in den vorliegenden materiellen Tatsachen der Produktion zu entdecken.
Wie steht es nun hiernach mit dem modernen Sozialismus?
Die bestehende Gesellschaftsordnung â das ist nun so ziemlich allgemein zugegeben â ist geschaffen worden von der letzt herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Die der Bourgeoisie eigentümliche Produktionsweise, seit[210] Marx mit dem Namen kapitalistische Produktionsweise bezeichnet, war unverträglich mit den lokalen und ständischen Privilegien wie mit den gegenseitigen persönlichen Banden der feudalen Ordnung; die Bourgeoisie zerschlug die feudale Ordnung und stellte auf ihren Trümmern die bürgerliche Gesellschaftsverfassung her, das Reich der freien Konkurrenz, der Freizügigkeit, der Gleichberechtigung der Warenbesitzer und wie die bürgerlichen Herrlichkeiten alle heiÃen. Die kapitalistische Produktionsweise konnte sich jetzt frei entfalten. Die unter der Leitung der Bourgeoisie herausgearbeiteten Produktionsverhältnisse entwickelten sich, seit der Dampf und die neue Werkzeugmaschinerie die alte Manufaktur in die groÃe Industrie umgewandelt, mit bisher unerhörter Schnelligkeit und in bisher unerhörtem MaÃe. Aber wie ihrerzeit die Manufaktur und das unter ihrer Einwirkung weiterentwickelte Handwerk mit den feudalen Fesseln der Zünfte in Konflikt kam, so kommt die groÃe Industrie in ihrer volleren Ausbildung in Konflikt mit den Schranken, in denen die kapitalistische Produktionsweise sie eingeengt hält. Die neuen Produktionskräfte sind der bürgerlichen Form ihrer Ausnutzung bereits über den Kopf gewachsen; und dieser Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsweise ist nicht ein in den Köpfen der Menschen entstandner Konflikt, wie etwa der der menschlichen Erbsünde mit der göttlichen Gerechtigkeit, sondern er besteht in den Tatsachen, objektiv, auÃer uns, unabhängig vom Wollen oder Laufen selbst derjenigen Menschen, die ihn herbeigeführt. Der moderne Sozialismus ist weiter nichts als der Gedankenreflex dieses tatsächlichen Konflikts, seine ideelle Rückspiegelung in den Köpfen zunächst der Klasse, die direkt unter ihm leidet, der Arbeiterklasse.
Worin besteht nun dieser Konflikt?
Vor der kapitalistischen Produktion, also im Mittelalter, bestand allgemeiner Kleinbetrieb auf Grundlage des Privateigentums der Arbeiter an ihren Produktionsmitteln: der Ackerbau der kleinen, freien oder hörigen Bauern, das Handwerk der Städte.
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