Deutsche Geschichte in der frühen Neuzeit by Burkhardt Johannes

Deutsche Geschichte in der frühen Neuzeit by Burkhardt Johannes

Autor:Burkhardt, Johannes [Burkhardt, Johannes]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406615344
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


3. Was hat der Immerwährende Reichstag geleistet? Vor allem gelang die Vollendung der Reichsverfassung durch die abschließende Institutionalisierung des Reichstags, der seit 1663 bis zum Ende des Reiches in Permanenz tagte. Der Westfälische Friede hat zum einen das Stimmrecht auf alle Reichsstände und ausdrücklich auch auf die Reichsstädte ausgeweitet und zum anderen die Kompetenz für Krieg und Frieden festgeschrieben und die Agenda der gesamtstaatlichen Geschäfte erweitert, für die der Reichstag gefragt werden mußte. Insbesondere aber sollte der nächste Reichstag die Verfassungsfragen im einzelnen regeln, die man in Osnabrück erst einmal auf sich hatte beruhen lassen, um zum Frieden zu kommen. Die Aufräumarbeiten der Nachkriegszeit verzögerten freilich das Zustandekommen dieses Reichstages. Erst einmal mußte man die Besatzungstruppen loswerden und dazu fünf Millionen Reichstaler Kriegsentschädigung an Schweden aufbringen, das, am Rande des Staatsbankrotts, den rückständigen Sold anders nicht zahlen konnte, um seine Truppen abzudanken. Diese nach der deutschen Kriegskatastrophe materielle und organisatorische Leistung wurde von den Armeeführern und Reichsständen auf einem Nürnberger Exekutionstag 1650 geplant, gelang tatsächlich und wurde mit einem symbolträchtigen Friedensmahl im Nürnberger Rathaus gefeiert, das ein Großgemälde des Begründers der deutschen Kunstgeschichte Joachim von Sandrart und eine Reihe von Kupferstichen dokumentierten. Die Reichsstände aber hatten ihre erste Bewährungsprobe bestanden und haben auf dem 1654 tatsächlich stattfindenden Reichstag auch sehr ernsthaft an der Verfassung gearbeitet. In einem letzten, «Jüngsten» Reichsabschied (JRA) wurden besonders zum Rechtssystem wichtige Normen gesetzt.

Die übriggebliebenen Verfassungsangelegenheiten sind als «hinterstellige» Materien oder «negotia remissa» in die Reichssprache eingegangen und mußten einer Deputation und schließlich dem nächsten Reichstag überlassen werden. Einberufen wurde dieser Reichstag, der dann zum Immerwährenden wurde, im Jahr 1663, weil der Kaiser gegen das wieder expandierende Osmanische Reich eine «Türkenhilfe» benötigte und tatsächlich erhielt. Aber das war nun auch die Gelegenheit, den Verfassungsauftrag des Westfälischen Friedens wieder vorzunehmen und an einem Reichsabschied mit Regelungen zu Fragen der Römischen Königswahl, des Achtverfahrens und einer ständigen Wahlkapitulation zu arbeiten, ohne den man nicht auseinandergehen konnte. Doch dann bekamen wieder aktuelle Probleme den Vorrang, und dieser Wechsel zwischen Abarbeiten der Verfassungsremissa und Unterbrechung durch aktuelle Ereignisse wiederholte sich mehrfach. Dabei erwies es sich als praktisch, daß immer gleich ein reaktionsfähiger Reichstag tagte, aber seine eigentliche Verfassungsaufgabe erledigte er auf diese Weise nie vollständig, so daß es zu Reichsschlüssen, jedoch zu keinem zusammenfassenden Reichsabschied kam. Lange ermahnten sich noch Kaiser und Reichsstände gegenseitig, zu einem Abschied zu kommen, und diese Entstehungsgeschichte hat dem «Immerwährenden» Reichstag anfangs und auch später in der Geschichtsschreibung ein nachhaltiges Imageproblem eingetragen. Denn eine Institution, die nur zu bestehen schien, weil sie ihre grundlegende Arbeit nicht zu Ende brachte, galt leicht als ineffektiv.

Dann aber erkannte man doch, daß hier gleichsam aus Versehen eine verstetigte Institution entstanden war, die für die Kooperation von Kaiser und Reichsständen viele Vorteile bot und für die gesamtstaatliche Reaktion und Steuerung des Reiches geradezu unentbehrlich wurde. Angesichts dieser positiven Bewertung, die bald sogar von italienischen und französischen Schriftstellern geradezu bewundernd geteilt wurde und sich in ersten Evaluierungen der neueren Forschung bestätigt, muß auch die Nichterfüllung der Verfassungsremissa in einem ganz anderen Lichte gesehen werden.



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