Der Sohn meiner Eltern by Gernot Beger

Der Sohn meiner Eltern by Gernot Beger

Autor:Gernot Beger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Books on Demand
veröffentlicht: 2015-12-15T00:00:00+00:00


Kapitel 5: Lehrjahre

Der 1.4.1967 bedeutete für mich ein neuer Lebensabschnitt. Nach dem Besuch der Handelsschule begann ich bei der Dresdner Bank in Neuss eine Banklehre und verdiente das erste Mal Geld. Nach dem Lehrvertrag erhielt ich an Ausbildungsvergütung im 1. Lehrjahr 190 DM, im 2. Lehrjahr 231 DM und im 3. Lehrjahr 273 DM. Davon bestritt ich meine persönlichen Ausgaben, behielt ein Taschengeld für mich und gab den Rest zu Hause ab. Eigentlich war es ein Widerspruch, als politisch interessierter junger Mensch, der sich der entwickelnden APO, der Außerparlamentarischen Opposition, verbunden fühlte, in ein konservatives Finanzunternehmen einzutreten. Ich hatte da wenige geistige Mitstreiter und fand es bedrückend, dass diese jungen Kollegen in den Zeiten des politischen Umbruchs völlig unpolitisch waren und weder Träume noch Visionen hatten. Tagsüber trug ich Anzug und Krawatte, die auch im heißesten Sommer nicht abgelegt werden durfte. Lediglich der Leiter der kleinen Effektenabteilung, Herr Bruns, der kurz vor der Pensionierung stand, badete dann seine Füße während der Arbeitszeit unter seinem Schreibtisch in einer Schüssel mit kaltem Wasser. Abends legte ich meine Arbeitskleidung ab und besuchte in betont legerer Kleidung Veranstaltungen der APO. Durch Matthias Mattheisen, einem Immobilienmakler mit linken Ideen, fand ich Zugang zu der SJD die Falken. Sie war eine politische Jugendorganisation, die der SPD nahestand, sich aber links von ihr positionierte. Matthias Mattheisen war ihr örtlicher Vorsitzender. Für ihn war das gesamte Leben Politik. Selbst wenn man auf dem Klo sitzt, macht man aktive Politik, kommunale Abfallpolitik, war seine Meinung. Da ich als „Banker“ wohl mit Geld umgehen können sollte, wurde ich schnell der Schatzmeister des Ortsbezirks Neuss. Das wenige Geld, das zur Verfügung stand, wurde deswegen auch nicht mehr und war immer schnell für die Anmietung eines Versammlungsraums auf der Further Straße in Neuss und für Plakate, Drucksachen, Handzettel usw. ausgegeben. Wir hatten ein paar Mäzene, die uns mit etwas Geld und Sachleistungen unterstützten. So arbeitete Walter Dehn in einer Druckerei, war aktives Gewerkschaftsmitglied und druckte uns zumeist die Plakate für unsere Veranstaltungen kostenlos. Unsere geistigen Väter waren Josef Hindels mit seinem Buch Der Sozialismus kommt nicht von selbst und Karl Kautsky, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wich - tigsten und einflussreichsten Theoretiker der SPD war. Es war eine herrliche Zeit, in der wir, getragen von den um sich greifenden Studentenprotesten, mit viel Idealismus bis spät in die Nacht hinein diskutierten, eine neue Weltordnung schmiedeten und an Demos gegen den Vietnamkrieg teilnahmen. Der Krieg der Amerikaner in Vietnam nahm zwischenzeitlich immer größere Dimensionen an. Präsident Johnson kündigte am 3.8.1967 eine Erhöhung der Truppenstärke auf 525.000 Mann an.

Leider waren bei unseren politischen Zusammenkünften keine Mädchen dabei, die ihren Teil zur sexuellen Revolution hätten beitragen können. Die hielten sich lieber beim SDS auf, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, und gründeten publizitätsträchtig eine antiautoritäre Kommune nach der anderen. Manch einer der männlichen Aktivisten lebte nach dem Grundsatz: Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Ich konnte nur davon träumen. Meine Eltern sahen mein politisches Engagement mit einer gewissen Sorge. Sie teilten zwar viele meiner Ideen, aber mit mehr Augenmaß und nicht so radikal.



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