Der Sieg Des Kapitals by Ulrike Herrmann

Der Sieg Des Kapitals by Ulrike Herrmann

Autor:Ulrike Herrmann
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Westend
veröffentlicht: 2013-07-14T16:00:00+00:00


15 Das Ende des Kapitalismus schien nah: die Weltwirtschaftskrise ab 1929

Die große Weltwirtschaftskrise, die 1929 ausbrach, beschäftigt die Theoretiker bis heute, weil damals das Ende des Kapitalismus gekommen schien. Zwar hat der Kapitalismus dann doch überlebt, aber der damalige Kollaps gilt noch immer als die »Mutter aller Krisen«, der exemplarisch vorführte, wie störanfällig die moderne Wirtschaft ist. Die Lektionen von 1929 prägen die Debatten bis heute. Dies gilt bereits für die Sprache, mit der sich Ökonomen verständigen: Damals wurde das technische Vokabular entwickelt, das noch immer benutzt wird, um Krisen zu beschreiben.

Die Weltwirtschaftskrise war ein so fundamentaler Einschnitt, dass sie – anders als alle Rezessionen zuvor – unmittelbar auf die Politik zurückwirkte und den Fluss der Geschichte in ein neues Bett umleitete. Der britische Historiker Eric Hobsbawm übertreibt nicht, wenn er schreibt: »Es hätte sicher keinen Hitler gegeben. Fast sicher hätte es keinen Roosevelt gegeben. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass das Sowjetsystem als ein ernstzunehmender wirtschaftlicher Konkurrent und als eine Alternative zum weltweiten Kapitalismus erschienen wäre. ... Kurz, die Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich nicht begreifen, solange man die Auswirkungen dieses ökonomischen Zusammenbruchs nicht versteht.«16

Die Weltwirtschaftskrise erscheint bis heute als ein Rätsel, weil es nicht beim »Schwarzen Donnerstag« am 24. Oktober 1929 blieb,17 sondern die Aktienkurse und die Wirtschaftsleistung drei Jahre lang sanken, in immer neuen Schüben. Das hatte man bis dahin noch nie erlebt. In allen vorherigen Krisen hatte es nur einen einzigen Absturz gegeben, und anschließend hatte sich die Konjunktur irgendwann wieder erholt. Aber dieses Mal schien die Weltwirtschaft in ein schwarzes Loch zu stürzen, das keinen Boden kannte. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, steckten viele Länder noch immer in der Krise, die zehn Jahre zuvor begonnen hatte. Was war geschehen?

Der Verlauf der Krise gibt zwar Rätsel auf, aber eine Ursache scheint hinreichend klar: Die Reichen waren in Amerika immer reicher geworden und wussten nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Ihren Konsum konnten sie kaum noch steigern, weil sie bereits alles besaßen, was die damalige Zeit zu bieten hatte: prächtige Villen, protzige Jachten, teure Autos und ein Heer an Dienern. Also spekulierten diese »Happy Few« an der Wall Street, um ihr Vermögen zu mehren. Wie der französische Ökonom Emmanuel Saez berechnet hat, verfügte 1927 das reichste Zehntel der Amerikaner über 46 Prozent des gesamten US-Volkseinkommens. Allein das oberste eine Prozent, also das reichste Hundertstel, monopolisierte bereits fast 24 Prozent der Wirtschaftsleistung.18

Die Reichen wurden reicher, weil die Firmengewinne explodierten, während die Reallöhne der Beschäftigten weitgehend stagnierten. Diese soziale Unwucht ist typisch für den Kapitalismus, solange man ihn nicht politisch steuert. Denn Wachstum kann es nur geben, wenn technischer Fortschritt die Produktivität steigert. Doch genau diese permanente Effizienzrevolution bringt das Gleichgewicht zwischen Löhnen und Gewinnen durcheinander, was dann in die Krise führt. Die technische Entwicklung ist die Triebkraft des Kapitalismus – und gleichzeitig seine größte inhärente Bedrohung.

Diese Ambivalenz zeigte sich nach dem Ersten Weltkrieg besonders deutlich. Die Produktivität in der Industrie legte in den USA zwischen 1919 und 1929 pro Arbeiter um 43 Prozent zu.



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