Der Screener (German Edition) by Yves E. Patak

Der Screener (German Edition) by Yves E. Patak

Autor:Yves E. Patak [Patak, Yves E.]
Die sprache: deu
Format: epub


Manhattan, New York – 31. August 2009, 17.48 Uhr

Stille in Desmonds Praxis. Nur das ewige Brausen des Verkehrs drang gedämpft durch die geschlossenen Fenster. Desmond machte einen letzten Akteneintrag, legte den Mont Blanc Kugelschreiber zur Seite und ließ sich gegen die Lehne zurücksinken.

In dreizehn Stunden sitze ich in der Maschine nach Kingston... kann’s irgendwie nicht fassen, dass ich es wirklich tue.

Mit beiden Handtellern massierte er sich die Schläfen. Ein nagender Kopfschmerz braute sich hinter seiner Stirn zusammen wie die grauen Wolken am Himmel draußen, die ein herannahendes Sommergewitter ankündigten.

Der Nachmittag in der Praxis war mühselig verlaufen. Er hatte es kaum geschafft, sich auf die Anliegen und Probleme seiner Patienten zu konzentrieren. Die Arbeit als Psychologe erforderte in erster Linie die Fähigkeit, sich auf die Wellenlänge seiner Patienten einzustellen. Üblicherweise gelang ihm dies mit Leichtigkeit, doch heute schien es, als habe er diese Fähigkeit verloren. Jedesmal, wenn ein Patient sein Sprechzimmer betrat, hatte sich sein Magen zusammengekrampft, und eine lähmende Furcht ergriff ihn, dass er in einem weiteren seiner Patienten etwas Unheilvolles sehen, durch ihn hindurch sehen könnte. Doch nichts dergleichen war geschehen. Die Patienten kamen und gingen, ohne dass jener glühende Nagel durch seine Stirn getrieben wurde oder er sich beinahe hätte übergeben müssen.

Dankbar, dass der Arbeitstag endlich hinter ihm lag, verließ er die Praxis und ging auf seinem üblichen Weg durch den Central Park nach Hause.

Und dort geschah es wieder.

Als er in der Nähe des Jacqueline Onassis Reservoirs stehen blieb, um einer Gruppe Jugendlicher beim Frisbee-Spiel auf der Wiese zuzusehen, überwältigte ihn ein heftiger Schwindel – als raste er mit verbundenen Augen die Todesrampe einer Achterbahn herunter.

Der... der Junge!

Hilflos torkelnd schaffte Desmond es gerade noch, sich auf den Beinen zu halten. Einer der Jugendlichen, ein drahtiger Sechzehnjähriger mit aschblondem Haar und einem sympathischen, mit Sommersprossen übersäten Gesicht, sprang mit spielerischer Leichtigkeit in die Höhe, drehte sich wie ein Zirkuskünstler um die eigene Achse und pflückte den Frisbee elegant aus der Luft. Als er wieder landete, sah Desmond eine blendend weiße Lichtscheibe über der linken Brust des Jungen. In der Mitte dieser Scheibe, wo das Licht am grellsten war, schien sich das rote T-Shirt des Jungen aufzulösen, und Desmond blickte dem Jungen durch einen langen, dünnen Trichter direkt ins Herz. Jener perfide, pochende Schmerz in seiner Stirn stellte sich ein. Sein peripheres Gesichtsfeld verdunkelte sich. Er streckte die Arme seitlich aus, um das Gleichgewicht zu halten.

„Mister, alles in Ordnung?“ fragte eine vom Zigarettenrauchen gefärbte Stimme hinter ihm. Wie aus einem Traum erwachend riss Desmond die Augen weit auf, um besser zu sehen. Nur langsam erkannte er eine Silhouette, dann ein Gesicht. Vor ihm stand eine aufgetakelte ältere Frau in einem pinkfarbenen Kleid. Durch ihre riesige Sonnenbrille beäugte sie ihn mit mehr Neugier als Sorge.

„Soll ich Ihnen einen Arzt rufen?“ erkundigte sie sich mit ungarischem Akzent. „Sie schwitzen ja wie ein Eskimo in der Sauna! Sie haben doch nicht etwa einen Herzanfall?“

Desmond schluckte trocken. Der Boden unter seinen Füssen fühlte sich an wie das Deck eines im Sturm schlingernden Schiffes.

„Nein, nein, danke… es geht mir gut.



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