Der Reisende: Roman (German Edition) by Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende: Roman (German Edition) by Ulrich Alexander Boschwitz

Autor:Ulrich Alexander Boschwitz [Boschwitz, Ulrich Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Leben, Verrat, Freunde, Flucht, Deutschland, Pogrom, Judenverfolgung, Mitgefühl, Nazideutschland, Menschen, Reise, Nazis
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2018-02-09T23:00:00+00:00


6. Kapitel

Der Scheinwerfer schnitt ein großes weißes Lichtfeld in die Dunkelheit hinein. Der Wald, der bis an die Chaussee heranreichte, wirkte schattenhaft. Bäume türmten sich auf, mischten sich mit der Dunkelheit und gingen in ihr auf.

Franz fuhr beinahe mit Höchstgeschwindigkeit. Er war nervös und aufgeregt. In einer Stunde muss ich unbedingt wieder zurück sein, dachte er. Das ist die erste Schwarzfahrt, die ich mache. Es wird auch die letzte sein. Noch nicht einmal Gertrud habe ich jemals mitgenommen. Aber tausend Mark – tausend Mark!

Ein Auto kam ihnen entgegen. Eilig blendete er ab.

Ich riskiere damit alles, ärgerte er sich. Wegen eines reichen Juden. Aber tausend Mark. Und Gertrud hätte mich für einen Feigling gehalten, dabei habe ich weiß Gott schon genug hinter mir! Wenn alles klappt, sind wir ja fein raus. Dieses Mädel hat mehr Mut als mancher Mann. Und der arme Kerl dahinten? Ein reicher Jude, aber rosig ist er jetzt auch nicht dran. Könnte mir leidtun, wenn ich Zeit dafür hätte. Die tausend Mark einstecken und Gertrud heiraten ist das eine! Man möchte ja geradezu jede Woche einen reichen Juden an die Grenze setzen! Für tausend Mark!

Und wenn ich geschnappt werde? Dann ist alles vorbei. Noch einmal lassen die mich nicht laufen. Aber ich habe so oft meine Knochen für nichts riskiert, für die Sache, na ja, warum soll ich nicht auch mal was für mich wagen?

Er brachte das Auto zum Stehen. Dann wandte er sich an Silbermann, der im Fond des Wagens saß: »Hier steigen Sie am besten aus. Ich kenn’ die Gegend einigermaßen. Früher habe ich Genossen geholfen, rüberzumachen. Für die habe ich es aber umsonst gemacht.«

»Natürlich«, sagte Silbermann, während er ausstieg.

»Ja«, sagte Franz. »Allzu viel habe ich für die Juden nämlich nicht übrig. Früher hatte ich mal einen jüdischen Chef. Die reine Freude war das auch nicht! Sie, das dürfen Sie mir glauben, das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich für Hilfe Geld nehme. Und wenn die Gertrud nicht gewesen wäre und mich breitgeschlagen hätte, dann wären wir nicht hier …«

»Es ist schon gut«, sagte Silbermann. »Sie müssen mir nicht übelnehmen, dass Sie mir helfen.«

»Ihnen nehme ich es auch nicht übel. Aber die Gertrud, die verleitet einen …«

»Franz«, beruhigte ihn Silbermann, »seien Sie doch froh. Da haben Sie Ihr Geld. Und grüßen Sie Ihre Braut von mir und sagen Sie ihr, dass ich ihr Glück wünsche.«

»Das wünschen Sie mal lieber sich«, sagte Franz mürrisch und schob die Scheine, ohne sie nachzuzählen, in die Tasche. »Das ist hier nämlich nicht so einfach! Halten Sie sich immer geradeaus. Sie kommen dann an eine Schneise, aber Sie gehen immer geradeaus! Bis Sie den Waldweg erreichen, da verläuft die Grenze, aber Sie gehen weiter geradeaus! Dann kommen Sie an eine Chaussee, aber Sie gehen geradeaus über die Felder! Wenn Sie sich beeilen, sind Sie in einer halben Stunde in Belgien.

Den Koffer hätten Sie lieber zu Hause lassen sollen. Aber nun haben Sie ihn schon mit. Nehmen Sie sich vor den belgischen Gendarmen in Acht, und fahren Sie so schnell wie möglich in die nächstgrößere Stadt.



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