Der Mensch und die Macht_ Über Erbauer und Zerstörer Europas im 20. Jahrhundert by Kershaw Ian

Der Mensch und die Macht_ Über Erbauer und Zerstörer Europas im 20. Jahrhundert by Kershaw Ian

Autor:Kershaw, Ian [Kershaw, Ian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2022-10-18T00:00:00+00:00


acht

francisco franco

Nationalistischer Kreuzfahrer

Franco am 1. Oktober 1936 in Burgos bei der Akklamation als Generalissimus und Staatschef durch (offenbar nicht durchweg begeisterte) Nationalistenführer. Binnen einem Jahr wurde er offiziell als »Caudillo« (Führer) der »Bewegung zur Rettung Spaniens« bezeichnet. Hulton Deutsch / Corbis Historical

Es ist verlockend, Franco als Randfigur zu betrachten, die nicht zu den »Machern des 20. Jahrhunderts« gezählt werden kann, und ihm zwar eine zentrale Rolle für die spanische Geschichte dieser Ära zuzubilligen, aber weitergehende Bedeutung abzusprechen. Offensichtlich ist seine Wirkung nicht mit derjenigen Hitlers und Mussolinis oder Lenins und Stalins zu vergleichen. Er ist ein Fallbeispiel für die Rolle und Wirkung des Einzelnen am unteren Ende der Skala. Und man kann mit Recht feststellen, dass Spanien sich im 20. Jahrhundert zumeist an der Peripherie der Schlüsselentwicklungen in Europa befand. Franco, lautet ein Urteil über ihn, habe »die Weltgeschichte allenfalls in den dreißiger Jahren etwas beeinflusst, doch wären die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts ohne ihn kaum anders verlaufen«. 1

Dieses Urteil ist zu geringschätzig. Auch die europäische Geschichte wäre wie die spanische sicherlich, wenn auch auf unbestimmbare Weise, anders verlaufen, hätte die Republik das Jahr 1936 überlebt. Dass sie nicht überlebte, lag zweifellos in nicht geringem Maße an Francos Führung im Bürgerkrieg. Dieser war darüber hinaus von solcher Bedeutung, dass die europäischen Großmächte – auf unterschiedliche Weise – in ihn verwickelt wurden und freiwillige Kämpfer vom ganzen Kontinent sich an ihm beteiligten. Auch Francos Umgang mit den Achsenmächten während des Zweiten Weltkriegs und dann mit dem Westen während des Kalten Kriegs verlieh seiner langen Diktatur eine Bedeutung, die nicht auf Spanien begrenzt war. Außerdem wurde er durch die Art des anschließenden Übergangs zu einer pluralistischen Demokratie, die Auswirkungen seiner Herrschaft auf die Erinnerung der spanischen Öffentlichkeit und die politische Kultur Spaniens sowie die umstrittene Frage des regionalen Separatismus in einem der größten Länder Europas zu einer Figur, die nicht nur für die spanische, sondern auch für die europäische Geschichte von Bedeutung ist. Nicht zuletzt zeigt sich an seinem Beispiel, wie ein Einzelner mit anerkannten Fähigkeiten als Militärkommandeur, aber ohne Erfahrungen als politischer Führer von historischen Bedingungen profitieren kann, die ihm den Aufstieg zur Macht ermöglichten und anschließend erlaubten, »seine eigene Geschichte zu machen«.



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