Der Martini-Club 01 - Spy Coast - Die Spionin by Gerritsen Tess

Der Martini-Club 01 - Spy Coast - Die Spionin by Gerritsen Tess

Autor:Gerritsen, Tess [Gerritsen, Tess]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Limes Verlag
veröffentlicht: 2023-11-02T00:00:00+00:00


19

London, vor sechzehn Jahren

Ich sitze auf einer Bank in Saal 17 des British Museum. Ich komme oft hierher, um das Grabmal des lykischen Königs Arbinas zu betrachten. Es stand einst in der antiken Stadt Xanthos, wo es ein beeindruckender Anblick gewesen sein muss mit seinen Friesen und Reliefs, den zwanzig Säulen und den Statuen der Nereïden – Meeresnymphen, die den Menschen freundlich gesinnt sind. Über zweieinhalb Jahrtausende war es dem Verfall preisgegeben, bis es von einem englischen Archäologen ausgegraben und nach London verfrachtet wurde. Jetzt steht es hier in Saal 17, zusammen mit all den anderen Beutestücken des britischen Weltreichs, und als Mahnung, dass kein Königreich ewig Bestand hat. Ich habe Heimweh nach der Türkei. Dieses marmorne Grabmal versetzt mich zurück an die lykische Küste, zu warmen Stränden im strahlenden Sonnenschein und Früchten, die am Baum zu vollkommener Süße heranreifen. Hier in London ist es ein regnerischer Nachmittag, und obwohl wir schon fast Juni haben, ist mir das feuchte Wetter so tief in die Knochen gekrochen, dass mir gar nicht mehr richtig warm wird. Ich blicke auf den Sockelfries mit den Skulpturen von kämpfenden Männern. So wenig hat sich die Menschheit seit den Tagen von König Arbinas verändert. Wir sind immer noch in einem endlosen Kreislauf von Kriegen und Konflikten gefangen, und jetzt haben wir auch noch Waffen entwickelt, die uns alle vernichten können.

Ich sehe Diana nicht hereinkommen, doch ich spüre, wie sie sich nähert. Mein sechster Sinn registriert einen leisen Luftzug, eine minimale Veränderung im Raumklima, und im nächsten Moment sitzt sie neben mir auf der Steinbank. Eine Weile sagen wir beide nichts, sehen uns nicht einmal an. Die Nereïden haben meine volle Aufmerksamkeit.

»Interessanter Treffpunkt«, sagt sie schließlich.

Ich schiebe ihr eine zusammengefaltete Zeitung über die Bank zu. Darin versteckt ist ein USB-Stick mit Hardwickes Patientenakte, die ich vor ein paar Tagen vom Computer der Galen-Klinik heruntergeladen habe. Als Diana mir die Zeitung wieder hinschiebt, ist der Stick verschwunden. Sie hat ihn bereits in die Tasche gesteckt.

»Und?«, sagt sie.

»Neben essentieller Hypertonie leidet er an Epilepsie, ausgelöst durch eine schwere Kopfverletzung im Alter von sechsundzwanzig Jahren. Er hatte ein subdurales Hämatom, das operiert werden musste.«

»Wie hat er sich die Verletzung zugezogen?«

»Ist mit dem Lamborghini seiner Eltern in eine Mauer gekracht.«

»Oh, die Nöte der Reichen.«

»Er hat einen Neurologen, der seine Medikation laufend neu einstellt, aber er hat immer noch gelegentlich Grand-Mal-Anfälle.«

»Wie oft?«

»Der letzte war vor drei Monaten, als er in seinem Büro im Hardwicke Tower war. Er dauerte nur ein oder zwei Minuten, aber es besteht dabei immer die Gefahr eines Status epilepticus, bei dem der Anfall gar nicht mehr aufhört. Dann ist sofortiges ärztliches Eingreifen erforderlich. Deshalb besteht er darauf, zur Sicherheit stets einen Arzt dabeizuhaben, wenn er London verlässt. In letzter Zeit hat er auch Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Das könnte ebenfalls mit dieser alten Kopfverletzung zusammenhängen.«

»Wie schlecht ist sein Gedächtnis?«

»Er hat Schwierigkeiten, sich an Namen und Zahlen zu erinnern. Es macht ihm offenbar Sorgen, sonst hätte er es Danny gegenüber nicht erwähnt.«

Diana schweigt, als eine Schar lärmender Schulkinder mit ihrer Lehrerin in Saal 17 einfallen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.