Der letzte Tango des Salvador Allende: Roman (German Edition) by Roberto Ampuero

Der letzte Tango des Salvador Allende: Roman (German Edition) by Roberto Ampuero

Autor:Roberto Ampuero [Ampuero, Roberto]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: ebook Berlin Verlag
veröffentlicht: 2013-02-25T17:00:00+00:00


41

Zitternd vor Kälte wachte ich auf. Ich lag im Gang eines Busses, um mich herum herrschte Dunkelheit. Ich rappelte mich auf und spürte meinen schmerzenden Magen. Auch der Hals und die Schultern taten mir weh. Durch die beschlagenen Scheiben spähte ich nach draußen. Es schneite noch immer. Ich befand mich in dem Ikarus, gleich neben dem Bahnhof. Ein Schneepflug fuhr dröhnend durch die Straße. Sonst war niemand zu sehen.

Ich stieg aus dem Ikarus. Es war eins der alten Modelle, die den Motor im Heck hatten, was ihnen ein schweres Aussehen verlieh, wie aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ich war von Wasser, Kot und Urin durchnässt und musste an die Folteropfer des Pinochet-Regimes denken. In diesem Leipziger Keller war nicht nur die Zeit zurückgesprungen, auch die Rollen waren vertauscht. In dem Bahnhof waren die Sieger von gestern die Besiegten von heute, aus ehemals Verhörten waren Verhörende und aus ehemals Verhörenden Verhörte geworden. Benommen humpelte ich über die Straße auf mein Hotel zu. Bevor ich die Lobby betrat, hüllte ich mich, so gut es ging, in meinen Mantel, um meinen Zustand zu verbergen, und atmete die frische Morgenluft in tiefen Zügen ein.

»Are you alright, sir?«, fragte der Mann an der Rezeption. Obwohl es fünf Uhr morgens war, sah der Kerl in seinem dunklen Anzug nach wie vor tadellos aus und wirkte ausgesprochen munter.

»Ich hatte eine etwas ausschweifende Nacht«, entgegnete ich, während er mir die Tüte mit meinen Dokumenten reichte. Ich versprach, ihm beim Auschecken ein Trinkgeld zu geben, und ging zum Fahrstuhl. Ich spürte, wie mir der Angestellte hinterher sah.

Im Zimmer bestätigte sich, was ich bereits vermutet hatte: Es war durchsucht worden. Auf professionelle, unauffällige Weise, aber ohne dass sie etwas gefunden hätten, was mich verraten könnte.

Als ich ins Bad ging, um mich zu duschen, blieb mir nichts anderes übrig, als mich im Spiegel zu betrachten. Wenigstens hatten sie mein Gesicht verschont. Alles andere, was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht. Ein riesiger Bluterguss zierte meinen Unterleib. Na klar, sie hatten ihre Wut vor allem an meinem Magen, dem Hals und den Schultern ausgelassen, um mir das Atmen schwer zu machen und meine Arme zu lähmen. Ich stieg unter die heiße Dusche, von der ich im Keller unter dem Bahnhof geträumt hatte.

Ich dachte an Victoria, an die kleine Urne mit ihrer Asche, die sich jetzt in Casandras Wohnung befand. Ich dachte an meine verstorbene Frau, an den Roman oder die Erinnerungen von Rufino, an Casandra und die Tarotkarten, an mein Leben für die Firma, an mein Haus in Minnesota, an diese Suche, die mich bis in den Keller eines Bahnhofs geführt hatte, wo mich Wut, Verachtung und die Forderung erwartet hatten, meine Erinnerungen und meine Vergangenheit aufzugeben.

Ich hüllte mich in einen Morgenmantel, bestellte Kaffee und Toastbrot und legte mich hin. Ich versuchte zu begreifen, was mir zugestoßen war. Mir fiel ein Kollege ein, der vor fünfundzwanzig Jahren in den Katakomben des Nationalstadions, wo das chilenische Militär die Gefangenen verhörte, immer wieder denselben Satz wiederholt hatte: »Es gibt zwei



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