Der Kaffee am Arsch der Welt by Leo Fischer

Der Kaffee am Arsch der Welt by Leo Fischer

Autor:Leo Fischer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Riva


KAPITEL VIII

Von Nullen und Einsen

Die Buchstabenwelt um uns herum waberte, flirrte und verwirrte die Sinne. Allmählich begann ich zu begreifen. All dies um uns herum, dieses Universum aus Ideen, Zeichen und halbfertigen Sentenzen, war nichts Geringeres als der Geist von Richard David Precht. Stetem Wandel unterworfen, mal hierhin und dorthin fasernd – und von Menschenwitz kaum zu durchdringen.

Redemanuskripte bildeten hier Kontinente, Wolken wurden aus Thesenpapieren geformt, und jede Windböe bestand aus den langen, langen Zahlenfolgen eines Beratervertrags. Richard David Prechts Kopf war lebendig; während er mich durch die Welt seines Verstandes führte, entwickelte er seine Gedanken weiter, ließ mich beim Vorgehen und Agieren seines Denkens selber zusehen. Nein, mehr noch – ich selbst war ein Gedanke in Richard David Prechts Kopf, wurde zusammen mit den anderen an-, aus- und weitergedacht!

Was wohl mit mir passieren würde, falls er jetzt einen Schlaganfall bekam?

Doch wir hatten keine Zeit, uns meinen kleinen Sorgen zu widmen. Es ging schließlich um Prechts Sorgen! Die Sorgen der Menschheit selbst! Schon eilte er zu unserem nächsten Ziel, und wieder vermochte ich kaum, mit ihm Schritt zu halten.

»Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert«, sagte Richard David Precht ernst. »Was das bedeutet, machen sich die meisten Menschen noch gar nicht klar. Zwanzig Jahrhunderte lang gibt es die Menschheit inzwischen, seit zwanzig Jahrhunderten machen wir uns die Erde untertan. Aber im einundzwanzigsten Jahrhundert schlägt Naturbeherrschung in Gefahr um. Wir richten unsere Werkzeuge gegen uns selbst. Der Mensch wird des Menschen Eisenbahn. Gene sind unsere Ölfelder, Daten unsere Bergwerke – und Unverstand unsere Elektrizität. Darin liegt eine große Bedrohung.«

Er schüttelte energisch den Kopf, dass sein prächtiges Haar nur so wirbelte und wuschelte.

»Wir müssen aufpassen, uns dabei nicht selbst auszubeuten.«

Während ich noch rätselte, worin die besondere Gefahr liegen mochte, und mich gleichzeitig fragte, welche Spülung er für sein Haar benutzte, verschwand der Buchstabenwirbel um uns herum. Unsere nächste Station war erreicht.

Nun standen wir in einer Art Röhre, die sich nach links und rechts bis an die Grenze unseres Sichtfelds erstreckte. Sie war nur wenig über mannshoch und bestand gänzlich aus trübem, grauem Plastik. Um uns herum roch es künstlich. An der Decke der Plastikröhre hing in regelmäßigen Abständen eine unangenehm grelle Neonleuchte, sonst war die Röhre völlig schmucklos. Richard David Precht ging eine Weile mit mir durch die Plastikröhre, die mal nach links, mal nach rechts abbog. Schließlich führte er mich an ein Guckloch und gebot mir, hinauszublicken.

Wieder war ich schier fassungslos, ja komplett aus dem Häuschen. Um uns herum waren Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Röhren. Die ganze Welt bestand nur aus Röhren – die meisten grau wie unsere, manche rot, wieder andere schwarz. Sie bildeten ein Netzwerk, das die gesamte Welt auszufüllen schien. Ein fahles gelbes Leuchten, das ich kaum Sonnenlicht zu nennen wagte, waberte über dieser Röhrenwelt. Nichts Lebendiges war zu sehen, keine Blume, kein Schwertfisch.

Richard David Precht sah gramgebeugt auf die Welt da draußen, sagte aber erst mal nichts. Er wollte anscheinend, dass ich mir meine eigene Meinung bildete, statt seine vorgestanzten Ansichten kritiklos zu übernehmen! Ganz schön gerissen von



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