Der Freud-Komplex by Kauders Anthony D

Der Freud-Komplex by Kauders Anthony D

Autor:Kauders, Anthony D.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2014-01-13T16:00:00+00:00


Antiautoritär, aber mit Vernunft!

Die Kinderladenliteratur ist voller Hinweise auf den rationalen Charakter des Projekts. Regine Dermitzel, eine bekannte Pädagogin innerhalb der Bewegung, versuchte den Eltern klarzumachen, wie gefährlich es sei, sich allein von Gefühlen leiten zu lassen. Ein »idealtypisches Postulat antiautoritärer Erziehung« sei es, die Kinder ohne »irrationale, zusätzliche Unterdrückung« an die Welt heranzuführen. Dazu bedürfe es der »Sachautorität« sowie einer »rationale[n] Erklärung von Versagungen«. Was erreicht werden müsse, sei nicht die »Identifizierung mit den Normen des Vaters aus Angst, sondern die Erziehung zur Kritikfähigkeit und autonomer Entscheidung«.69 Die Eltern und Erzieher aus dem Kinderladen Charlottenburg I konnten dem nur beipflichten. Gelinge es in der Anfangsphase des Kinderladens, dass sich die Kinder von ihrer »Fixierung an [sic] die Eltern« lösen könnten, so würden sie lernen, »auch rationale Argumente rational« zu verarbeiten. Die Folge sei vernünftiges Verhalten: Kritik werde nicht »irrational als Versagung oder Verbot verarbeitet«, sondern als »wirkliche Möglichkeit« zur positiven Veränderung.70 Des Weiteren müsse man den Kinderladen nicht als Ort »chaotischer Freiheit« begreifen. Vielmehr verhelfe der »festgelegte äußere Rahmen zu einer rationalen Ordnung, in der die Kinder Bedürfnisse optimal befriedigen können«. Am Ende, so die Hoffnung des Charlottenburger Kinderladens, würden alle lernen, »wie die Befriedigung ihrer jeweils eigenen Bedürfnisse abhängt von den anderen Kindern der Gruppe und deren individuellen Bedürfnissen«.71

Noch ein letztes Beispiel, um die Vernunftgläubigkeit der Kinderladenmitglieder zu dokumentieren: Ende April 1968 hielt der Pädagoge Jürgen Zimmer im rheinischen Blankenberg einen Vortrag über die Ziele der antiautoritären Erziehung. Obwohl er in seiner Rede auch Alexander Mitscherlich und Erik Erikson zitierte, ging aus seinen Ausführungen ganz klar hervor, dass Marcuse und Reich dafür Pate standen. »Unter dem Zwang des Realitätsprinzips«, erklärte er seinem Publikum, müsse »das Ich permanent zwischen den Wünschen des Es und des Über-Ich vermitteln«. Während in einer »unterdrückungsfreien Gesellschaft Es und Über-Ich vermutlich konfliktfreier zusammenfänden«, könne »das Ich unter den gegebenen Verhältnissen Konflikte oft nur mit Hilfe der Abwehrmechanismen bewältigen«. Um nun solche Abwehrmechanismen zu verhindern, müsse man dem »Kind die Entscheidung über sein Verhalten dadurch überlassen, daß man sich darauf beschränkt, ihm die sozialen Konsequenzen alternativer Verhaltensweisen zu schildern«. Mit anderen Worten: Das böse »Über-Ich« oder das »Realitätsprinzip« oder »Leistungsprinzip« des kapitalistischen Westens könne nur dann überwunden werden, wenn Eltern und Kinder lernten, sich rational zu verhalten.72

Kinderladenaktivisten, aber auch andere Mitglieder der Studentenbewegung, waren davon überzeugt, dass das Lustprinzip durch ein viel zu rigides Realitätsprinzip beeinträchtigt werde.73 Mit Reich forderten sie eine Form der sexuellen Befreiung, in der libidinöse »Energien« ungehindert fließen könnten. Das hieß im Fall der frühkindlichen Erziehung: Kinder dürften ihre erogenen Zonen entdecken, ohne von den Erwachsenen daran gehindert zu werden. Damit wollte man mehrere Dinge sicherstellen. Im späteren Leben sollte die »genitale Sexualität« voll ausgelebt werden können. Nur so sei gewährleistet, dass keine neurotischen Persönlichkeiten entstünden, deren Neurosen zu Aggressionen führten, die wiederum faschistische Tendenzen begünstigten. Auch mit Marcuse wollten die Studenten das »Leistungsprinzip« zugunsten eines weniger rigiden Realitätsprinzips eliminieren, allerdings sollte dabei nicht die »orgastische Potenz« im Mittelpunkt stehen, sondern die Erotik überhaupt.

Es sind nicht diese Pläne, die uns im Rückblick staunen lassen.



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