Der fliegende Eisvogel by Richard Henry Savage

Der fliegende Eisvogel by Richard Henry Savage

Autor:Richard Henry Savage [Savage, Richard Henry]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-01-15T00:00:00+00:00


In der Zelle des Verurteilten

Fred Bligh trat, den schroffen Protest der Schildwache nicht achtend, auf die Tür zu, und beobachtete den kleinen Zug, der langsam in dem dunklen Gang verschwand. In den zitternden Händen des bebenden Chorknaben schwankte die Kerze hin und her. Aus Pablos roter Laterne fielen zuckende Lichter auf die festen Gewölbe, die in längst vergangenen Zeiten durch geduldige indianische Sklaven aufgeführt waren. Zuletzt folgte Kapitän Villareal, mit dem nachschleppenden Säbel seltsame Echos in dem feuchten Korridor weckend; seine Hand hielt den geladenen Revolver, dessen übrige Patronen aus dem Gürtel hervorlugten.

„Haben Sie irgendeine List vor?“ murmelte er vor sich hin, „ich muß scharf aufpassen. Mein Kopf wäre dem Tiger von Sonora verfallen, wenn er um dieses Mannes Leben betrogen würde.“

Der durch alle Greuel des grausamen Guerillakrieges abgehärtete Soldat schauerte doch davor zurück, seinen ehemaligen Vorgesetzten, den Sohn des „größten Gouverneurs von Sonora“ wie einen Hund zum Tode führen zu lassen; aber durch die Disziplin an unbedingten Gehorsam gewöhnt und durch jene mexikanische Gefühllosigkeit unterstützt, seufzte jetzt Enrique Villareal nur: „Es muß geschehen“, und beobachtete dann aufmerksam die eiligen Vorbereitungen für die heilige Handlung.

Auf ein mit abgewandtem Gesicht gegebenes Zeichen Villareals, öffnete Pablo die knarrende, eiserne Tür und der Bischof, in vollem Ornat, trat in die Zelle des Gefangenen; ein einziger Kerzenträger folgte ihm, während die Zurückbleibenden einen feierlichen Gesang anstimmten, der den Kapitän in gläubige Andacht versetzte. Der rohe Soldat, der nichts kannte als sein Schwert und den Katechismus des Dienstes, beugte sich unter der zwingenden Macht der katholischen Kirche, deren niedergeworfene Altäre, gestürzte Tempel, vertriebene Priester und fromme Schwestern er gesehen hatte. Er wußte nichts von dem mächtigen Einfluß, den die Kirche über Länder und Völker ausübt; in ihm wirkte nur eine persönliche Einschüchterung, als der Bischof, dessen ehrfurchtheischendes Gesicht von schneeweißen Haaren umrahmt war, majestätisch und lautlos vortrat, so daß Villareal demütig zurückwich.

„Ich darf seinen Zorn nicht auf mich laden“, murmelte er, als der Mund des jungen Priesters die Benediktionen der Kirche sprach, die dazu berufen ist, die letzte Schutzwehr einer bedrohten Zivilisation zu sein.

Ein sich tölpelhaft herandrängender Sergeant salutierte:

„Sollen die Leute im Gefängnishof aufgestellt werden?“ fragte er roh, dummdreist die kleine Schar musternd.

„Ist der Kurier zurückgekommen?“ fragte Villareal.

„Noch nicht!“

„Dann laß die Mannschaft in losen Reihen antreten, und melde mir, wenn der Bote die Wachstube betritt.“ Der Kapitän wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und dachte, während der Soldat sich entfernte: „Der Befehl ist noch nicht da – vielleicht – vielleicht kommt er in dieser Nacht gar nicht mehr!“ Leises Mitleid keimte in seiner Brust auf, er unterdrückte es jedoch ziemlich rasch in seiner stupiden Gleichgültigkeit und ans andere Ende des Korridors tretend, zündete er sich eine Zigarette an: „Wenn er ihn jetzt nicht kalt macht, ist er ein Narr“, dachte er, „man muß die Schlange zertreten, wenn sie einem unter den Fuß kommt. Auch kann Marquez es nicht wagen, ihn als beständige Drohung in Sonora hinzuhalten. Die Sache mag ihren Gang gehen“, schloß er seinen Gedankengang. Er hätte gar zu gern gewußt, wer Pesquieras ausgedehnte Besitzungen erben würde.



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