Der Bogen der Zeit by Donaldson Stephen

Autor:Donaldson, Stephen [Donaldson, Stephen]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-04-28T16:00:00+00:00

Die Nacht war lang und kalt, und der Sturm toste immerzu weiter wie alle Wut der Welt. Mit irrsinniger Geschwindigkeit fegte die Sternfahrers Schatz auf den Fluten zwischen Überdauern und Untergang dahin. Niemand an Bord konnte etwas anderes tun, als sich an die Hoffnung aufs Überleben zu klammern. Es verblüffte Linden, als sie inmitten ihres Schlotterns, das sie bis in Mark und Bein schüttelte, trotz der Müdigkeit, die so tief in ihren Gliedern stak, dass selbst Diamondraught ihr kaum entgegenwirken konnte, auf einmal feststellte, dass sie gleichermaßen zum Hoffen fähig war wie die Riesen. Ihre Geisteshaltung schien ihren zusammengefassten Ausdruck in Blankehans zu finden, der das Kommando über das Schiff ausübte, als wäre die Sternfahrers Schatz unüberwindbar. An Herzensfreude erregte Windsbraut den Eindruck, als halte sie die Belastung nicht mehr allein in der Starrheit ihres Pflichtbewusstseins aus. Stattdessen packten ihre großen Arme die Speichen, als wäre sie dem Sturm selbst überlegen. Brinn und Hergrom hatten ihre charakteristische Unerschütterlichkeit zurückgewonnen. Die Dromond lebte. Hoffnung war möglich.

Die Morgendämmerung überraschte sie dennoch. Durch die Erschöpfung abgestumpft, wusste sie nicht, was sie stärker erstaunte – die schlichte Tatsache, dass ein neuer Tag anbrach, oder der Umstand, dass der Himmel frei war von Wolken. Sie traute ihren Augen kaum. Im Windschatten des Schiffs war ihr nicht aufgefallen, dass der Regen irgendwann im Laufe der Nacht aufgehört hatte. Nun verfärbte sich der Himmel von düsterem Blaurot zu hellem Blau, als sich fast unmittelbar hinter dem Heck des Riesen-Schiffs die Sonne zeigte. Die Wolken waren so restlos verschwunden, als hätte das fortwährende Drängen des Sturms sie ein für alle Mal vom Himmel gerissen. Nur der Wind wehte noch, in seiner Kraft ungeschwächt, unvermindert stark.

Linden blinzelte und musterte ihre Gefährten. In der klaren Luft wirkten sie plötzlich unnatürlich deutlich, hagerer und kantiger, von Salz verkrustet, darin wie gerahmt; die Gesichter fahl wie ausgetrocknete Totenmasken. Aber sie regten sich. Heiser sprachen sie miteinander, spannten die Muskeln, widmeten der See unverhohlen kritische Blicke. Sie lebten.

Linden verschaffte sich einen Überblick der Besatzung, um sich davon zu überzeugen, dass sie niemanden verloren hatten. Sie schluckte das bittere Salz in ihrer Kehle und erkundigte sich bei Cail, ob jemand Hohl oder Findail gesehen habe. Er gab ihr die Auskunft, dass Hergrom vor einer Weile nach vorn gegangen sei, um nachzuschauen, wie es sich mit dem Dämondim-Abkömmling und dem Elohim verhielt. Er hatte sie so vorgefunden, wie sie zuletzt gesehen worden waren: Findail wie eine Galionsfigur am Bug; Hohl der Tiefe zugewandt, als könnte er in ihren dunklen Fluten die Geheimnisse der Erde erkennen. Linden nickte. Etwas anderes hatte sie nicht erwartet. Hohl und Findail waren einander würdig: beide so rätselvoll und unberechenbar wie die See, so unzugänglich wie Stein. Als Cail ihr einen Krug mit Diamondraught anbot, trank sie einen sparsam bemessenen Zug und reichte ihn an den Riesen neben sich weiter. Sie zwinkerte in die ungewohnte Helligkeit und betrachtete das ausgedehnte Sieden des Ozeans. Linden spürte keine Schwächung des Winds; dennoch musste er geringfügig nachgelassen haben. Seine Kraft vermochte die Wogen nicht mehr ganz zu glätten.

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