Der blaue Planet by Carlos Rasch

Der blaue Planet by Carlos Rasch

Autor:Carlos Rasch [Rasch, Carlos]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-02-08T16:00:00+00:00


Die Nacht im Tempel

Das Boot mit dem hohen Schnabel trieb lautlos auf dem dunklen Wasser des Pu-rat-tus dahin. Ia-du-lin sah dem Abendrot nach, das zu seiner Rechten über dem Ufer des Stromes verglomm. Zu seiner Linken lauerte die dunkle Wand der Nacht.

Es war die Stunde der Angst. Je dichter sich die Abenddämmerung über das Land legte, desto stärker wurde Ia-du-lin von Schauder und Verzagtheit gepackt. Er rückte näher zum heiligen Stein und zog Sils gelbes Tuch fest um seine Schultern.

Erst als von Horizont zu Horizont der Himmel überall gleichmäßig schwarz war, wich der Druck von seiner Seele. Er spürte wieder den warmen Lufthauch, der von der Hitze des Tages geblieben war und ihn umfächelte. Dann traten Sterne aus der Tiefe des Himmels hervor und blinzelten ihm zu. Die Nacht wurde ihm so zum Freund, die alles verhüllte, die alles Ungemach auslöschte und deren Schutz er sich ruhig anvertrauen konnte.

Heute blieb Ia-du-lin auf dem Wasser. All die Tage hatte er zu dieser Zeit angelegt, um das Nachtlager am Ufer des Stromes zu bereiten. Heute trennte ihn nur noch ein kurzes Stück Weg von E-rech, das er noch erreichen wollte. Bald würde der Mond aufgehen und es ihm erleichtern, seinen Weg dicht entlang dem Ufer zu finden.

Ia-du-lin versuchte, die Nacht vor ihm mit den Blicken zu durchdringen. Wäre es Tag, könnte man jetzt sicher schon die Spitze der Ziggurat, des siebenstufigen Tempelturmes, sehen, dachte er. Plötzlich horchte er auf. Unweit fielen Steinchen in das Wasser. Er hörte es deutlich viermal platschen. Das war doch eines der verabredeten Zeichen!

Das Boot wendete den hohen Schnabel dem Ufer zu. Dann knirschte der Sand unter dem Kiel. Ein leichter Stoß folgte, und das Boot lag still. Ia-du-lin sprang an Land.

Aus dem dunklen Ufergesträuch rief jemand leise: »Wieviel Pfeile stecken in deinem Köcher?«

»Sieben Stück, und nur einer, der zu Nan-nar hinauffliegt«, antwortete Ia-du-lin vereinbarungsgemäß.

Blätter raschelten, und ein Zweig knackte. Oben an der Uferböschung erschien, gegen den Nachthimmel gut sichtbar, eine dunkle Gestalt, die ihm winkte. Ia-du-lin arbeitete sich den Abhang hinauf. Der unbekannte Eingeweihte ergriff seine Hand und zog ihn zu sich heran. Ia-du-lin erkannte einen der Priester, die dem Mondgott Nan-nar in seinem Tempel in E-rech dienten. Wortlos wies der Priester in Richtung der Stadt.

Dort stand groß die Scheibe des Mondes über dem Horizont. Unwillkürlich schirmte Ia-du-lin die Augen gegen den rötlichen Schein ab. Da erkannte er in der Ferne eine Kette heller Lichtpünktchen.

»Fackelträger?« fragte Ia-du-lin.

»Nein, Lagerfeuer«, flüsterte der Nan-nar-Priester.

»Was ist geschehen?« Ia-du-lin ahnte Schlimmes.

»E-rech ist belagert«, sagte der Priester. »Der Gal-Uku-Patesi aus Ur ist mit seinem Heer vor den Toren unserer Stadt erschienen. Er hat En-mer-kar aufgefordert, das oberste Kriegsrecht im Zweistromland an Ur abzutreten.«

Der Nan-nar-Priester hatte schon mehrere Tage und Nächte hier am Ufer des Pu-rat-tu versteckt gewartet, um den Tamkare des Herrschers zu warnen.

»Sprich weiter«, verlangte Ia-du-lin.

»En-mer-kar hat die Ältesten befragt. Sie rieten ihm, der Stadt den Frieden zu erhalten und das oberste Kriegsrecht dem Gal-Uku-Patesi zu überlassen«, berichtete der Priester. »En-mer-kar war nicht mit diesem Rat zufrieden. Er befragte auch seine Berater und den Nubanda, seinen höchsten Beamten.



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