Das Schloss der Schriftsteller by Uwe Neumahr
Autor:Uwe Neumahr [Neumahr, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: Verlag C.H. Beck oHG - LSW Publikumsverlag
veröffentlicht: 2023-02-15T23:00:00+00:00
Hermann Göring bei seinem Kreuzverhör, März 1946
Geschickt brachte Göring offensichtliche Widersprüche oder negative Präzedenzfälle der anglo-amerikanischen Geschichte ins Spiel. Als ihn Jackson über die Art der Vorbereitungen für die Mobilmachung befragte und betonte, dass sie «absolut dem Ausland gegenüber geheimgehalten» wurden, entgegnete Göring: «Ich glaube mich nicht zu erinnern, die Veröffentlichung der Mobilmachungsvorbereitung der Vereinigten Staaten jemals vorher gelesen zu haben.» Jackson kam mit Görings unverschämt-intelligentem Auftreten und dessen spitzfindigen Manövern nicht zurecht. Auf dem Höhepunkt der Vernehmung warf er seine Kopfhörer wütend auf den Tisch. Immer wieder forderte er das Gericht auf, den Angeklagten zur Ordnung zu rufen, was allgemein als Beweis seiner Schwäche gedeutet wurde.
Medial war das Rededuell ein GroÃereignis, zahlreiche Korrespondenten waren eigens dafür angereist. Viele Beobachter äuÃerten unumwunden, dass Jackson seinen Gegner unterschätzt habe. Allgemein wurde der Amerikaner als Verlierer angesehen, Göring hingegen für sein Auftreten Respekt gezollt, selbst von anwesenden Juristen. Der britische Richter Norman Birkett bemerkte, Göring habe einen «positiven Eindruck» hinterlassen, er sei intelligent, schlagfertig und einfallsreich. Auch Boris Polewoi, dessen Texte der sowjetischen Zensurbehörde vorgelegt werden mussten, attestierte dem «Erzspitzbuben», er sei eine überragende Persönlichkeit, «freilich im Sinne jenes abscheulichen entmenschten Systems, wie es der Nationalsozialismus darstellte».
Janet Flanner hingegen ging über Respektsbekundungen hinaus und verlieh Göring, «dem letzten wichtigen überlebenden Protagonisten des Bösen», dämonische GröÃe. Bereits in ihrem Bericht vom 15. März hatte sie geschrieben, dass jeder im Saal auf die eine oder andere Weise Görings Verstand zu spüren bekommen habe. «Was er seinen Richtern bot, war kein mea culpa, sondern eine Dissertation über die Technik der Macht. Im Zeugenstand wartete er nicht, bis ihm die alliierte Anklage Fragen stellte; er lieferte ihnen die deutschen Antworten zuerst. Der Reichsmarschall lieà Machiavellis Fürsten wie einen langweiligen Apologeten erscheinen. Göring war entschieden amoralischer und witziger.»
In ihrem Artikel vom 22. März stilisierte sie dann das «tödliche Duell» zwischen Jackson und Göring in der Art eines Drehbuchs mit Spannungsbogen. Für Flanner war es der ultimative Kampf zwischen Gut und Böse, die Auseinandersetzung eines brillanten Dämons mit der zivilisierten Welt, die, nach zahlreichen Höhen und Tiefen, am Ende nur mit äuÃerster Mühe gewonnen werden konnte. Keiner ihrer Kollegen hatte Göring je mit solch überhöhenden Worten bedacht. Göring war für sie ein «Gladiator», sein anfänglicher Sieg ein «strahlender Triumph». Er zeige vor Gericht ein «phänomenales Gedächtnis» und «teuflische Geschicklichkeit», er sei eine «wahrhaft phantastische und furchteinflöÃende Persönlichkeit».
So wie Flanner Göring vergröÃerte, verkleinerte sie Jackson. Den Mann, dessen programmatische Eröffnungsrede nicht nur bei John Dos Passos einen auÃerordentlichen Eindruck hinterlassen hatte, verglich sie nun mit einem «Provinzanwalt». «Jackson machte sogar äuÃerlich eine schlechte Figur. Er knöpfte die Jacke auf, zog sie mit den Händen in den GesäÃtaschen über den Hüften zusammen und wippte wie ein Provinzanwalt. Ihm schien es nicht nur an Hintergrund und Weisheit zu mangeln, [â¦] auch sein Wissen über europäische Zusammenhänge war voller Lücken, in die er beim Versuch, Göring Fallen zu stellen, selbst stolperte.»[11]
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