Das Kind by Sebastian Fitzek

Das Kind by Sebastian Fitzek

Autor:Sebastian Fitzek
Die sprache: de
Format: mobi, epub
ISBN: 9783426197820
Herausgeber: Droemer
veröffentlicht: 2011-09-20T15:30:37+00:00


3.

Ja, hallo?«

Schon die ersten beiden Worte zerstörten Sterns Erwartungshaltung. Er hatte mit einem älteren Mann gerechnet, dem man seine Verwahrlosung schon an der Stimme anhörte. Jemand, der seine fettigen Haare von hinten nach vorne kämmte und mit einem Feinrippunterhemd bekleidet beim Telefonieren auf seine pilzigen Fußnägel starrte. Doch stattdessen flötete ihm eine helle, freundliche Frauenstimme ins Ohr.

»Ehm, also, ich ...« Robert fing an zu stottern. Borchert hatte ihm einfach den Hörer weitergereicht, als das verrauschte Freizeichen ertönte. Jetzt wusste er nicht, was er sagen sollte.

»Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe mich verwählt.«

»Rufen Sie wegen der Anzeige an?«, fragte die namenlose Frau. Sie klang höflich, gebildet, ohne jede Spur eines Berliner Akzents. »Äh ... ja?«

»Tut mir leid, mein Mann ist zurzeit nicht da.«

»Ach so.«

Sie hatten den Supermarkt verlassen und waren auf dem Rückweg zu ihrem Auto. Stern musste sich auf jedes Wort konzentrieren, damit es nicht vom Verkehrslärm der Potsdamer Straße oder den knisternden Störgeräuschen der schlechten Verbindung verschluckt wurde.

»Aber Sie haben das, wonach wir suchen?«, fragte sie.

»Vielleicht.«

»Wie alt ist es denn?«

»Zehn Jahre alt«, sagte Stern und dachte an Simon.

»Das würde passen. Aber Sie wissen, wir suchen nach einem Bett für Jungen.«

»Ja. Hab ich gelesen.«

»Gut. Wann können Sie es liefern?«

»Jederzeit. Heute noch.«

Sie kamen wieder an dem grauen Stromkasten vorbei, auf dem vorhin die Prostituierte auf Kundschaft gewartet hatte. Das magere Mädchen war nicht mehr zu sehen und hockte vermutlich gerade auf irgendeinem Beifahrersitz in einer Nebenstraße.

»Schön. Dann schlage ich vor, wir treffen uns um sechzehn Uhr, um den Vertrag zu besprechen. Kennen Sie das >Madi-son< am Mexikoplatz?«

»Ja«, sagte Stern mechanisch, obwohl er noch nie in diesem Café gewesen war. »Hallo? Sind Sie noch dran?«

Als er keine Antwort bekam, gab er Borchert das Handy zurück.

»Und?«, fragte der sofort. Doch Stern brauchte erst einmal einige Atemzüge, um sich zu beruhigen. Schließlich antwortete er wie in Trance:

»Ich weiß nicht. Es klang wie ein normales Telefonat. Eigentlich haben wir nur über ein Bett gesprochen.«

»Aber?«

»Aber die ganze Zeit fühlte ich, es ging um etwas ganz anderes.« Stern wiederholte ihm die Unterhaltung fast wörtlich.

»Siehst du?«, sagte Borchert.

»Nein. Ich sehe im Moment gar nichts«, log Stern. In Wahrheit hatte sich sein Blick auf die Welt, in der er lebte, soeben drastisch verändert. Borchert hatte im Supermarkt einen Vorhang angehoben und ihn hinter die Bühne, auf die dunkle Seite des Lebens schauen lassen, wo die Menschen ihre antrainierten Masken aus Moral und Gewissen ablegten und ihr wahres Gesicht zeigten.

Stern war nicht naiv. Er war Anwalt. Natürlich kannte er das Böse. Doch bis jetzt hatte es sich für ihn hinter Schriftsätzen, Urteilen und Gesetzestexten versteckt. Ein Grauen dieser Art, das ihn zu verschlucken drohte wie ein schwarzes Loch, konnte er nicht mehr neutral durch den Filter eines beruflichen Mandats betrachten. Für die Bearbeitung dieses Falles würde er sich selbst die Rechnung ausstellen müssen, und er ging fest davon aus, dass der Stundensatz sein emotionales Budget sprengen würde.

Borchert öffnete die Wagentür und wollte einsteigen, doch Roberts schneidende Frage ließ ihn innehalten. »Woher hast du deine Informationen?« Andi kratzte sich unter der Mütze und nahm sie schließlich ab.



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