Das (franko-)algerische Kino by Domberg Verena.;

Das (franko-)algerische Kino by Domberg Verena.;

Autor:Domberg, Verena.;
Format: epub
Herausgeber: Peter Lang Copyright AG


2.4.2.Les Sacrifiés – Inneralgerische Konflikte im Freiheitskampf

Auf ganz andere Weise als Les folles années – und zwar in einer tragischen Erzählung – erweitert auch Okacha Touitas Les Sacrifés das Spektrum der Darstellungen der franko-algerischen Geschichte. Les Sacrifiés macht als erster Film den ← 211 | 212 → inneralgerischen Konflikt zwischen der FLN und der MNA zu seinem zentralen Thema und widerspricht so in politischer Hinsicht noch deutlicher als Les folles années dem Mythos der Einstimmigkeit der algerischen Nation im Entstehen. Der Film vollzieht damit einen deutlichen Tabubruch bezüglich des im Rahmen der offiziellen Historiographie Sagbaren. Er präsentiert ein bis heute weitgehend verdrängtes Kapitel der algerischen Geschichte, das auch nach seinem Erscheinen insgesamt wenig auf der Bildfläche auftaucht.242 Dass sowohl Les Sacrifiés als auch rezentere Werke zu dieser Problematik in einem französisch verorteten Produktionskontext entstanden sind, zeigt, dass eine Bearbeitung dieses Konflikts erst durch Möglichkeiten außerhalb des nationalen Staatskinos realisierbar(er) wird. Da die Besonderheit des Films hauptsächlich in dem Zeigen und Aussprechen des Ungesagten liegt, beschränken sich die Überlegungen hierzu auf eine Zusammenfassung der inhaltlichen Aspekte sowie auf kurze Deutungen zu Titel und Figurenebene.

Les Sacrifiés konzentriert sich unverblümt auf die Gewalt und die Spaltungen der Algerier untereinander. Der Film umfasst eine Zeitspanne von Beginn des Algerienkriegs Mitte der 1950er Jahre bis zur Unabhängigkeit 1962. Dabei verbindet er thematisch ein Grundkapitel der französisch-algerischen Immigrationsgeschichte mit dem antikolonialen Kampf in Frankreich. Der Protagonist Mahmoud wird nach Frankreich ausgewiesen und landet – wie viele andere emigrierte Algerier der ersten Generation – in der Barackensiedlung algerischer Migranten in Nanterre.243 Sofort wird er von der dort agierenden lokalen FLN vereinnahmt, die sich alsbald einen erbitterten Kampf mit der MNA liefert und mit zunehmender Radikalität vorgeht. Männer aus den eigenen Reihen, die (angeblich) Verrat begangen haben, werden ebenso hingerichtet wie Mitglieder der MNA oder auch harkis, die die französische Seite unterstützen. Anschläge auf von der MNA geführte Cafés, Erschießungen auf offener Straße oder einzelne Hinrichtungen von Abtrünnigen bestimmen das Vorgehen der FLN. Mahmoud fährt dabei die Autos, er schießt nicht selbst und verkraftet die Gewalttaten schlecht. Nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe von Mahmoud und seinen Gefährten gelingt es einigen von ihnen, sich unter dem lokalen Anführer zu regruppieren und den Kampf fortzuführen. Die MNA ist inzwischen fast eliminiert und die Gewaltangriffe der FLN richten sich nun hauptsächlich gegen die harkis, die von der ← 212 | 213 → französischen Polizei zur Patrouille eingesetzt werden. Die Gruppe um Mahmoud wird ein zweites Mal inhaftiert. Mahmoud selbst ist in Folge der Gewalttaten psychisch erkrankt, so dass er seine ehemaligen Mitstreiter nicht erkennt. Während diese sich arrangieren und im Gefängnis der bevorstehenden Unabhängigkeit entgegensehen, wird Mahmoud von seinen traumatischen Erlebnissen verfolgt und bleibt in seinen Vorstellungen gefangen. Der Jubel der Insassen zur Verkündung der Unabhängigkeit, mit dem der Film endet, lässt den abseits stehenden, verstörten Mahmoud unberührt.

Der Film verdeutlicht zum einen die Gewalt unter den Algeriern, die – im Gegensatz zum offiziellen Diskurs der unicité – die Uneinigkeit im Prozess des nation building demonstriert. Zum anderen werden die psychischen Auswirkungen und die Wunden des Kriegs sichtbar.



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