Dänemark: Eine Nachbarschaftskunde (German Edition) by Bernd Kretschmer

Dänemark: Eine Nachbarschaftskunde (German Edition) by Bernd Kretschmer

Autor:Bernd Kretschmer [Kretschmer, Bernd]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ch. Links Verlag
veröffentlicht: 2015-09-19T16:00:00+00:00


Da staunt die Welt – Flexibilität schafft Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum

Der morgendliche Berufsverkehr in Dänemark rollt in zwei Wellen. Die erste zeigt sich im lokalen Umfeld: Väter oder Mütter schwingen sich auf die Fahrräder oder setzen sich in die Autos und machen sich mit ihren Kindern auf den Weg zur nächsten Kinderkrippe, zum Kindergarten oder zur privaten Tagesbetreuung. Die nächste Welle rollt auf die Arbeitsplätze in den größeren Städten zu. Für mich persönlich ist es immer wieder ein Erlebnis, im morgendlichen Kopenhagener Berufsverkehr als Fußgänger bei Rot an einer Ampel zu warten, zum Beispiel vor der Knippelsbro. Diese Brücke führt bei der Christians Brygge hinüber zur Insel Amager, und mich fasziniert es immer wieder aufs Neue, wie dann bei Grün eine wahre Lawine von Fahrradfahrern losrollt: es sind Hunderte – beiderlei Geschlechts, jeglichen Alters und sozialen Status.

Dänemark ist der Vollbeschäftigung näher als jedes andere europäische Land, und die Entwicklung des Arbeitsmarktes hat international Aufsehen erregt. Kein anderes europäisches Land konnte aus der Hochkonjunktur der letzten zehn Jahre den gleichen Nutzen für die Beschäftigung ziehen. Das liegt daran, dass die Regierung parallel zum Aufschwung der Wirtschaft eine Reihe umfassender Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchführte. Diese zielten in erster Linie darauf ab, Barrieren für eine schnellere und zielgerichtetere Vermittlung der Arbeits lo sen abzubauen. Zum Nutzen der Arbeitslosen, der Unternehmen und der Volkswirtschaft.

In einigen Bereichen stellen die Reformen einen Bruch mit der traditionellen Arbeitsmarktpolitik dar. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld wurde verschärft sowie eine Verkürzung der Leistungsdauer für Arbeitslosengeld eingeführt – von ursprünglich sieben auf nur vier Jahre. Stattdessen wurde Flexicurity eingeführt. Dieser Begriff steht für die Idee, am Arbeitsmarkt und in den Beschäftigungsverhältnissen mehr Flexibilität (flexibility) mit sozialer Sicherheit (security) zu verbinden. Kennzeichnend für Flexicurity sind liberale Kündigungsschutzregeln, wie etwa kurze Kündigungsfristen. Dafür wird für den Fall der Arbeitslosigkeit aber auch ein hohes Lohnersatzniveau garantiert. Nach einer OECD-Studie, die auf Zahlen von 2008 basiert, beträgt der Anspruch eines Durchschnittsverdieners nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit 72 Prozent (arbeitsloses Ehepaar ohne Kinder) bzw. 91 Prozent (arbeitsloses Ehepaar mit zwei Kindern) des letzten Einkommens. Damit liegt Dänemark auf Platz eins der Skala (Deutschland rangiert mit 46 Prozent auf Platz zwölf). Ein ähnlich starkes Gefälle zeigt sich bei Geringverdienern und Alleinstehenden. Grundlage für Flexicurity ist eine aktive Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik, mit der Arbeitssuchende verstärkt motiviert werden, Qualifizierungsangebote wahrzunehmen. Wichtige flankierende Maßnahmen des Modells sind außerdem flexible Arbeitszeiten und Regelungen, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten sollen.

In einem Papier zum Thema »Mehr und bessere Jobs durch Flexicurity und Sicherheit«, das die EU-Kommission im Sommer 2007 vorlegte, heißt es unter anderem, dass die Menschen zunehmend eher Sicherheit der Beschäftigung bräuchten als Sicherheit des konkreten Arbeitsplatzes. Für die »Beschäftigungs sicherheit« sollen unter anderem lebenslanges Lernen (was übrigens eine der Maximen des bereits mehrfach erwähnten Volksaufklärers Grundtvig war) – als Recht wie auch als Pflicht – sowie höhere Investitionen in eine aktive Arbeitsmarktpolitik sorgen. Dazu seien Weiterbildung von Arbeitslosen und Unterstützung bei der Stellensuche, allerdings auch finanzieller bzw. wirtschaftlicher Druck erforderlich. Wichtiger als Arbeitnehmerrechte wie etwa ein strenger Kündigungsschutz sei die Chance, schnell einen neuen Job zu finden.



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