Barth, Michael by Geist

Barth, Michael by Geist

Autor:Geist
Format: epub
veröffentlicht: 2017-04-16T16:00:00+00:00


14

Zum wiederholten Mal klingelte es an der Tür. Christian saß wie gelähmt auf dem Küchenboden, das Telefon noch immer in der Hand haltend. Er hatte nicht einmal weinen oder seinen Schmerz hinausschreien können. Stattdessen spielten seine Gedanken Ping Pong in den durcheinandergeratenen Gehirnwindungen. Viele Fragen, auf die er keine Antworten zu finden vermochte, lieferten sich einen Schlagabtausch in seinem verwirrten Geist. War dieses Gespräch mit Martina nun real gewesen, oder nicht? War sie wirklich tot, verletzt? Oder wohl auf? Wessen Stimme hatte er da zum Schluss gehört? Was war geschehen? War überhaupt etwas geschehen? Christian war am Ende seiner mentalen Kräfte und konnte kaum mehr einen Unterschied zwischen Traum und Realität erkennen. Er fragte sich permanent, in welchem Zustand er sich gerade befand.

Das Telefon klingelte. Geistesabwesend, irgendwie automatisiert, wanderte sein Finger zu der grünen Taste, um das Telefonat entgegenzunehmen.

»Alter, ich bin es. Tim. Ich stehe hier unten vor deinem Haus. Könntest du eventuell mal aufmachen?«

Wie jemand, der soeben aus dem Halbschlaf zu sich kam, stotterte Christian verstört: »Tim? Ähm, ja … klar … Moment.«

»Mann, was ist los? Bist du schon wieder eingepennt? Und was zur Hölle wollte Daniels Mutter bei dir?«

»Was? Wieso Daniels Mutter? Ich verstehe nur Bahnhof.«

»Na, sie ist doch eben aus deinem Haus gekommen. Ich bog gerade um die Ecke, wollte sie gleich ansprechen, aber als ich einen Parkplatz gefunden hatte, war sie bereits verschwunden.«

»Was laberst du für einen Unsinn? Ich habe sie seit der Beerdigung nicht gesehen.«

»Hmmm, vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht. Mach endlich auf, ich muss pissen.«

Dass sich sein Verwirrungszustand noch steigern konnte, hätte er selbst nicht für möglich gehalten. Er stand schwerfällig auf, lief mit schleppenden Schritten zur Wohnungstür und öffnete seinem Kumpel. Tim rannte die Treppen hinauf, als ginge es um sein Leben und nicht nur um den Gang zur Toilette. Als er vor Christians Wohnung angekommen war, erstarrte er. »Scheiße! Ich glaube, jetzt wissen wir, was die Ressmer hier wollte.«

Christian schaute ihn fragend an, warf einen flüchtigen Blick in den Hausflur und verstand nicht, worauf Tim hinaus wollte.

»Na, deine Tür, Alter. Hast du es nicht gesehen?«

Tatsächlich hatte Christian sie einfach aufgerissen und keines Blickes gewürdigt. Warum auch? Als er es nun tat, war das fette blutrote Wort nicht zu übersehen. Anscheinend wurde es mit einer Sprühdose aufgetragen, denn die Farbverläufe an den Buchstaben sahen unsauber aus. Die typischen Läufer, die entstehen, wenn Farbe zu dick aufgesprüht wird, bahnten sich zu Dutzenden ihren Weg über das verschandelte Holz. Dennoch war das Wort deutlich zu lesen: »Mörder.«

»Mann, die Alte hat ja wohl 'ne Vollmeise. Der haben sie ihr Gehirn doch mit beerdigt.« Tim war fassungslos, drängte sich an Christian vorbei und rannte zur Toilette. Ein riesiger Seufzer der Erleichterung drang durch die verschlossene Tür.

»Bist du wirklich sicher, dass es die Ressmer war, die du gesehen hast, Tim?«

»Ich denke schon.«

Christians Gedanken liefen Sturm. Er zählte eins und eins zusammen. Benommen torkelte er in die Wohnung zurück und knallte die Tür zu. Die Tränen schossen ihm in die Augen. Er begann am ganzen Körper zu zittern und fiel plötzlich wie ein nasser Sandsack um.



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