Auf der Jagd nach dem letzten wilden Mann by Vallvey Angela

Auf der Jagd nach dem letzten wilden Mann by Vallvey Angela

Autor:Vallvey, Angela [Vallvey, Angela]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


17

Ich stehe früh auf und nehme eine lauwarme Dusche. Ich wasche mir die Haare, rasiere mir mit einer neuen Klinge die Beine und ziehe mir Zahnseide durch die oberen Schneidezähne, während ich darüber nachdenke, ob meine Oma vielleicht doch allmählich den Verstand verliert. Gestern Abend hat sie mir an der Wiege von Rubén, der inzwischen einen Monat alt ist und artig in seinem Körbchen schlief, im Brustton der Überzeugung erzählt, Jesus Christus sei zur Erde zurückgekehrt. Sie behauptete, ihn im Fernsehen gesehen zu haben. Er sei es wirklich gewesen, aber die Leute würden ihn nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie ihn nicht von all den anderen unterscheiden könnten, die in derselben Zeitzone wie er, nur auf anderen Kanälen, dieselben Tricks vorführten. Sie sagte mir im Vertrauen, dass sie deshalb das Fernsehen nicht ausstehen könne, ihr würde davon schwindelig, dabei bräuchte sie in ihrem Alter allmählich etwas mehr Ruhe.

Ich gehe in die Küche, um ein Glas heiße Milch zu trinken. Heute Nacht habe ich so gut wie kein Auge zugetan, weil Rubén Blähungen hat, sich unwohl fühlt und ununterbrochen weint.

»Wie ekelhaft! Weißt du was, Candela?«, wendet Bely sich an mich. »In der Küche war eine Kakerlake.«

»Und wie ist die hierher gekommen, wir wohnen doch im ersten Stock?«, frage ich mit übertriebenem Abscheu.

»Ich weiß auch nicht, wie sie hierher gekommen ist, und habe ihr auch keine Gelegenheit gegeben, es mir zu erzählen, weil ich sie augenblicklich mit der Hola erschlagen habe.« Bely lächelt mich sadistisch an und setzt dann ihre Unterhaltung mit den anderen fort. »Oma, du behauptest doch alles zu wissen, nicht wahr?«

»Ja, fast alles«, antwortet meine Oma und nippt dabei schüchtern an ihrem Milchkaffee.

»Wirklich?«, fragt Bely freundlich herausfordernd. Sie hat beim Reden den Mund voller Toastbrot. »Mal sehen... mal sehen, ob du alles weißt. Zum Beispiel Platon, was weißt du über Platon?«

Meine Oma denkt einen Augenblick nach, dann beißt sie in ihren warmen churro.

»Nun, dass er schon gestorben ist«, antwortet sie und isst weiter.

»Ha, ha, ha!« Meine kleine Schwester klatscht in die Hände und küsst unsere völlig ungerührte Oma neben ihr auf die Wange.

Ich will rasch frühstücken, zeitig zur Arbeit und meinen Chef bitten, mich nochmal auf einen Sprung bei der Bank vorbeischauen zu lassen. Die Banco de Crédito Rural de Castilla-La Mancha hat nämlich etwas in Verwahrung, was mir gehört. Und ab und zu habe ich das Bedürfnis, mich davon zu überzeugen, dass dieses Etwas noch an Ort und Stelle ist. Die Depotgebühren für das schwarze Kästchen kosten mich zwar jeden Monat ein kleines Vermögen, genauer gesagt mehrere Scheine, für eine bankrotte Wirtschaft wie derzeit die meine wahrhaftig zu viel, aber was soll’s. Ich liebe es, im Tresorraum der Filiale mit den Wänden aus grünem Almería-Marmor, die einzige Stahltüre vor mir im Blick, Platz zu nehmen. Dort sitze ich und komme mir vor wie im Film. Ich liebe es, mich mit meinem kleinen schwarzen Kästchen dort einzuschließen und es behutsam zu öffnen, mit äußerster Langsamkeit und Delikatesse. Kurz bevor der Deckel sich vollständig öffnet, schließe ich die Augen und



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