Argumente am Stammtisch by Klaus-Peter Hufer

Argumente am Stammtisch by Klaus-Peter Hufer

Autor:Klaus-Peter Hufer [Hufer, Klaus-Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783734402791
Herausgeber: Wochenschau Verlag Dr. Kurt Debus GmbH
veröffentlicht: 2016-06-24T00:00:00+00:00


6.4 Natur erzeugt keine Vorurteile

Während Allport von der „Natur des Vorurteils“ schreibt – ohne dabei soziale Ursachen wie z.B. die Erziehung zu übersehen –, richtet Max Horkheimer (1895 – 1973) den Blick darauf, wie der Alltag und die „Zivilisation“ Vorurteile entstehen lassen. Im Jahr 1961 hatte er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen Beitrag veröffentlicht, der anschließend häufig zitiert und diskutiert wurde.35 Der Ausgangspunkt: „Die Verhaltensweisen der Individuen in den Situationen des Alltags haben auf Grund von bruchstückhaftem Wissen sich eingeschliffen, sind Reaktionen aus Vorurteilen. Im Dschungel der Zivilisation reichen angeborene Instinkte noch weniger aus als im Urwald. Ohne die Maschinerie der Vorurteile könnte einer nicht über die Straße gehen, geschweige denn einen Kunden bedienen.“36

Das Vorurteil kann jedoch eine Verbindung eingehen mit „dunkleren Trieben“: „Machtgier, Neid, Grausamkeit.“37 Da die Zivilisation von Kindheit an Anpassung verlangt, fordert sie auch „die schmerzhafte Bewältigung chaotischer Regungen“38. Das Vorurteil erhält so eine Funktion. Das „Vorurteil des Hasses“ gestattet es dem Menschen, „schlecht zu sein und sich dabei für gut zu halten“39. Das geschieht durch die gesellschaftliche Indienstnahme des Vorurteils. Hier kommen die Aufwiegler, Verleumder und Brandstifter ins Spiel: „Zum Geschäft der Demagogen gehört es, edle Losungen zu finden, die zugleich der Feindschaft ein Objekt versprechen. Von den kleinen Gerüchtemachern, die im Namen des Anstands und der Solidarität das Komplott gegen Neger und Fremde anzetteln, bis hinauf zu den planvoll ungebärdigen Führern, die das Vorurteil durch Hass zur explosiven Gemeinschaft zusammenschweißen, zieht sich die Reihe der Agenten des Unheils, die den Anfälligen den gewünschten Vorwand liefern.“40

„Wir können und dürfen nicht vergessen, dass unsere Heimat immer deutsch war und bleiben wird!“

Zeichung: Kurt Halbritter

Was so an Gerüchten und Bezichtigungen geschürt werden kann, „ist vielen recht, vor allem wenn zur seelischen Verbitterung ein wirtschaftlicher Rückgang kommt. Natur erzeugt den Kollektivhass nicht“.41 Als Belege bietet Horkheimer einige Beispiele aus Studien über Rassenvorurteile in Amerika an.

Die Gründe für die Zähigkeit der Vorurteile liegen in der gesellschaftlichen Entwicklung: „Anstatt, dass die Bedingungen für den autoritären Charakter geschwunden sind, haben sie sich überall vermehrt. Der vielbesprochene Rückgang der Familie, die Not in überbesetzten Schulen sind nicht geeignet, autonomes Denken, Phantasie, die Lust an geistiger Tätigkeit zu entwickeln, die nicht zweckgebunden ist. Das Wachstum der Bevölkerung, die Technik selber zwingen die Menschen innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte, in der Fabrik und im Verkehr, auf Zeichen zu achten, in gewisser Weise selbst zum Apparat zu werden, der auf Signale reagiert.“42 Das aber fördert nicht die innere Freiheit.

Der von Horkheimer beschriebene Mensch ist in die Zivilisation eingebunden, seine aggressiven Tendenzen werden in negative Vorurteile übergeführt. Sie entlasten und bauen auf, bieten eine Entschädigung für die ständigen Anpassungsleistungen und Ängste, für die Konditionierungen und das Kleinmachen. Die Stammtischparolen haben hier einen Grund, der in die psychische und soziale Verflochtenheit der Gesellschaft hinein führt. Das ist erhellend und erklärend, aber macht auch ein wenig mutlos. Wie kann gegen eine so tief verwurzelte Vorurteilsstruktur noch argumentiert werden?

In der Tat macht da Horkheimer wenig Hoffnung: „Gegen die starren Vorurteile zu argumentieren, ist eitel. Sie degradieren den einzelnen dazu, in



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