Archipel by Inger-Maria Mahlke

Archipel by Inger-Maria Mahlke

Autor:Inger-Maria Mahlke [Inger-Maria Mahlke]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644001282
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2018-08-20T22:00:00+00:00


«Nicht einschlafen», sagt Jose Antonio, wenn die Atemzüge unter seinem Ohr, die seinen Kopf anheben und senken, anheben und senken, zu gleichmäßig werden, zu flach. «Nicht einschlafen.» Er hebt den Kopf, um auf die Uhr zu sehen, noch ist Zeit. Jose Antonio spürt, wie der Schweiß auf seiner Wange auskühlt, auf dem Brustkorb, auf dem er sie wieder ablegt. Fühlt, wie sich der Torso bewegt, als Rubén die Hand hebt, mit den Fingerkuppen über die ausrasierten Haare in seinem Nacken fährt. Das Fenster einen Spalt offen, der Wind drückt es gegen das Band, das Rubén an Riegel und Öse befestigt hat, damit es nicht schlägt, bewegt den Vorhang, der, altrosa und synthetisch glänzend, bauchig ins Zimmer weht.

«Hast du Durst?»

Jose Antonio schüttelt den Kopf, bewegt ihn auf der warmen Haut hin und her. Rubén lacht auf, «Das kitzelt», schiebt ihn ein Stück von sich weg.

«Bitte», sagt Jose Antonio, «ein bisschen noch.» Und Rubén lehnt sich stumm zurück, Jose Antonio legt sein Ohr wieder auf Rubéns Brustkorb, so, dass er das Herz nicht hört. Betrachtet das Knüpfmusters des Wandteppichs, Johannes Paul II. «Moment», hat Rubén gesagt, ihn vorher mit dem Gesicht zur Wand gedreht.

Das Haus gehört seinen Großeltern, mein Opa tot, Oma im Krankenhaus, ich sehe nach dem Rechten. Ob irgendwo eine Ratte liegt und stinkt.

Das Auto parkt oben im Ort an der Kirche. Sie sind zu Fuß heruntergelaufen, erst in der Auffahrt – rechts und links gemauerte Hochbeete, auf denen wild Chumberas wachsen – haben sie einander an den Händen gehalten.

Auch wenn der Brustkorb sich nicht rührt, Jose Antonio kann fühlen, dass Rubén ungeduldig ist, aufstehen will, duschen vielleicht, Jose Antonio abwaschen, das silbrig eingetrocknete Sperma, den fremden Schweiß.

Er hat aufgepasst, in den Rückspiegel gesehen auf der Fahrt an die Küste, Scheinwerferpaare beobachtet, achtgegeben, wer wie lange hinter ihm fährt. Hat auf dem Weg von der Kirche hinab, im lauter werdenden Aufprallen und Zerstieben der Wellen, auf Fußtritte geachtet, brechende Zweige, knisterndes Laub, kollernde Steine am Hang. Aber da war nichts, da waren nur die Steinchen unter Rubéns Turnschuhen, die bei jedem Schritt knirschten, und das Tacktack von Jose Antonios Ledersohlen und sonst nichts. Hat gewartet, die Tür im Blick behalten, während Rubéns Lippen sich um seinen Schwanz schließen, Rubéns Zunge die Eichel umkreist, Jose Antonios Fingerkuppen über Rubéns Kopfhaut tasten, sich in seine Haare graben, dunkle kurze Locken, an denen er ein wenig zieht. Behalt die Augen auf, behalte um Himmels willen die Augen auf.

Jemand mit Schlüssel, ist seine Angst. Dass sie es vorher vereinbart haben, Rubén und ein Kumpel mit einer Kamera. Ein Blitzlicht, unvermittelt in der Tür. Hälfte, Hälfte.

«Bist du hier aufgewachsen?», fragt Jose Antonio, um irgendetwas zu sagen.

«Santa Cruz, Barrio de la Salud. Und du?»

Jose Antonio zögert. «La Laguna», sagt er schließlich. Er hat Rubén seinen Nachnamen nicht genannt. Den Nachnamen, den er mit sechzehn Straßen, drei Plätzen und einem halben Dutzend Schulen auf den Inseln teilt.

«Musst du nicht zurück?»

Jose Antonio schüttelt den Kopf.

«Ernsthaft, du musst doch irgendwann wieder in der Kaserne sein.»

«Ich weiß, wer am Tor sitzt», sagt Jose Antonio.



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