Alles, was wir nie gesagt haben by Gabriele von Braun

Autor:Gabriele von Braun [Braun, Gabriele von]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-6715-7
Herausgeber: beHEARTBEAT
veröffentlicht: 2018-09-04T00:00:00+00:00

13

Wildes Stimmgewirr empfängt uns, als wir nach einer guten halben Stunde die Herde erreichen. Eine Gruppe von Männern hat sich um den Ausgang der Einzäunung herum positioniert, andere brüllen und treiben die Tiere hinaus. Zu meinem Erstaunen bin ich die einzige Frau hier.

»Warum schreien die so? Gibt es Ärger?«, frage ich.

»Nein, alles in Ordnung. Bei Lärm gehen die Kühe mit ihren Kälbern vorwärts.«

»Und wer sind jetzt die echten Cowboys? Mit bloßem Auge sehe ich da keinen Unterschied.«

»Die Männer, die die Tiere heraustreiben, machen das professionell. Die am Ausgang sind Joshs Gäste.«

»Irre, dass die dafür bezahlen, hier arbeiten zu dürfen!«

Auch wir reihen uns nun neben den Großstädtern ein. Mir wird ganz mulmig, als ich all die Kühe auf mich zukommen sehe. »Die Rinder haben doch sicher eine ungeheure Kraft«, sage ich.

»Keine Angst. Unser Spalier hilft ihnen, sich zu orientieren und die richtige Richtung zu finden. Sie tun uns nichts.«

Tatsächlich haben nun alle Rinder das Gatter verlassen. Wir reiten neben der Herde her. Ruhiger ist es nicht geworden. Genau wie die anderen werfe ich alle Hemmungen über Bord und brülle, johle und schreie mir die Seele aus dem Leib. Theo macht auch mit und nickt mir anerkennend zu.

Die Schreitherapie kommt nicht nur den Tieren zugute, sondern auch mir. Willkommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Habe ich mich je so frei gefühlt?

Wir bewegen uns auf unwegsamem Gelände. Immer wieder müssen ein paar Rinder und Kälber unter Büschen hervorgetrieben werden. Dabei leisten Pferde und Reiter großartige Arbeit.

Ich schließe zu Theo auf, der ein paar Meter vor mir reitet. »Das hier ist das Schönste, was ich seit Langem erlebe!«, sage ich. Meine Stimme ist von dem ganzen Gebrülle kratzig geworden.

Theo strahlt mich an. »Ich bin froh, dass es dir gefällt und du keinen Rückzieher gemacht hast.«

Da die Rinder nicht sonderlich schnell laufen, bewegt sich unser Tross die meiste Zeit eher langsam und gemächlich. Nun sind wir schon seit fünf Stunden unterwegs. Ich schwitze, die Sonne brennt erbarmungslos auf uns herunter, und mein Hintern beginnt zu schmerzen. Aber wie!

»Wie lange dauert es noch?«, frage ich.

Auf Theos Nase glitzern Schweißperlen. »Wir haben es gleich geschafft«, sagt er. Dann erklärt er mir, dass es für jede Tagesetappe eine Koppel gibt, in dem die Rinder über Nacht untergebracht werden. »Apropos Tag, vergiss nicht, dass dein Vater heute Geburtstag hat«, sagt Theo da.

»Das hast du dir gemerkt?«

»Immerhin war ich deswegen gestern nicht am Flughafen.«

»Und ich hätte es heute vor lauter Abenteuer glatt vergessen. Danke. Wenn wir zurück auf der Ranch sind, rufe ich ihn an.«

Endlich taucht vor uns das Etappenziel auf. Zwei Männer reiten voraus und öffnen das Tor der Umzäunung, damit die Rinder gleich reinlaufen können.

»Bleiben die Cowboys auch über Nacht hier?«, frage ich.

»Sicher. Abends zünden sie ein Lagerfeuer an, philosophieren über das Leben und lauschen dem Heulen der Kojoten, bevor sie vor den wärmenden Flammen einschlafen.«

»Genau so habe ich mir das vorgestellt.«

»Möchtest du bleiben?«, fragt Theo.

»Ach lass mal, ich habe nicht mal Zahnputzzeug dabei. Aber so ein Lagerfeuer, das wäre schon mal was.«

Nachdem die Herde im Gatter ist, verabschieden wir uns von den anderen.

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